01 Jun Ortstafelstreit
Kaffeefahrt (Tappa Uno): Klagenfurt – Untergreuth, 40 km, 600 Höhenmeter
Jetzt geht das wieder los. Der große Zeichner und Windschatten, der mit mir auf Tour ist, hat extra ein Mottobild für die Kaffeefahrt gemacht. In den sozialen Netzwerken kannst du diese Profilbilder schnell austauschen. Wenn du magst auch deinen Namen. Im echten Leben ist das schwieriger. Da schleppt man einen Bettel von Stammdaten mit sich rum, ohne Chance auf Änderung. Hast du unter diesen Stammdaten was angestellt: Stammheim. Den Schalter „Stammdaten ändern“ gibt’s im echten Leben nicht. Geburtsdatum ändern, Geburtsort ändern. Da gibt’s keinen Knopf für. Oder weitere Stammdaten hinzufügen, das geht auch nicht. Was ich schade finde.
Zum Beispiel Zeugungsort. Der ist doch viel wichtiger, weil ohne Zeugung keine Geburt. Von mir aus auch Zeugungsdatum. Aber da gibt’s vielleicht Diskussion, ob vor oder nach Zwölfe. Deshalb find ich Zeugungsort besser. Das gehört doch in alle Stammdaten rein. Sonst wirst du kein Mensch. Der Ort deines persönlichen Urknalls, der gehört doch rein. Bernd Sautter, wohnhaft Maurenstraße 25/1, 70599 Stuttgart, geboren in Vaihingen/Enz, gezeugt in Velden am Wörthersee. So etwa. Was da alles rauskommen würde über die Leute. Bei mir zum Beispiel: dass ich Zeugungsösterreicher bin. Vielleicht darum dieses heimatliche Gefühl plötzlich. Wir sind in Kärnten. Dort gehts heute los. In Klagenfurt. Wir kommen auch durch Velden. Von dort rufe meine Eltern an. Ehrensache.
Eigentlich sollte ich mich ja auskennen. Naja. Lange her. Aber was für eine Gegend, diese Zeugungsheimat. Klar, da bin ich jetzt vielleicht nicht ganz objektiv. Aber dieses Kärnten ist schon arg schön. Schönes Wetter sowieso. Das könnte auch rein in die Stammdaten: Zeugungswetter. Muss mal nachfragen. Heute jedenfalls extrem sonnig hier. Perfekt zum Radeln.
Es trifft uns ja nicht unvorbereitet. Ich hab mir zum Beispiel gute Fettvorräte angelegt. Immer am Mann. Und dann „Wir sind Kaiser“ geschaut. Die Wiederholungen. Das ist eine österreichische Serie. Darin spielt der Kabarettist Robert Palfrader einen Kaiser, der einmal im Jahr Hof hält. Für mich als Zeugungsösterreicher ist das natürlich relevant. Man muss ja wissen, von wem man regiert wird heutzutage. Beim Kaiser bin ich mit meinem Zeugungsort nicht so gut angesehen. Der Kaiser spricht eigentlich nie von Kärnten. Er sagt Nordslowenien. Ist ja schon ein besonderes Völkchen hier. Man weiß ja, was die hier gerne wählen, so Haider und andere politische Unfälle, die im Grunde menschliche Totalschäden sind. Aber Achtung: Die meisten sind normal. Wirklich. Halt mit gewissen Eigenheiten.
Sowas wie den Ortstafelstreit kann’s nur hier geben. Als Radler ja immer interessant, was du an Schildern siehst. Zweisprachige Ortsschilder, Pardon Frau Hofrätin, natürlich zweisprachige Ortstafeln sind was Tolles. Wie ein öffentliches Wörterbuch. Viel zu lesen, und du lernst, wie sich unterschiedliche Sprachen in manchen Orten wieder ähnlich sind. Oder auch nicht. Hier in Kärnten gab’s lange Palaver um diese zweisprachigen Tafeln. Weil sich die Freiheitlichen am Slowenisch gestört haben. Als ob’s nichts Wichtigeres gäbe. Dabei ist es klasse international. Schon in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts hat man sich über die Sprachen auf den Tafeln gestritten. Fast vierzig Jahre hat’s gedauert, bis das final beigelegt war. Vermutlich hat’s geholfen, dass der Jörg Haider mal besoffen gegen eine Gartenmauer gefahren ist. Der hatte es nicht so arg mit dem Slowenischen auf den Tafeln. 2011 hat man das mit den zweisprachigen Tafeln im Grenzgebiet ein für allemal festgezurrt. Die Gartenmauer stand übrigens hinauf zum Loiblpass. Den nehmen wir nicht. Wir fahren morgen den Wurzen.
Heute erstmal kein Pass. Lockeres Einfahren. Gemütlich um den Wörthersee gleiten. Hach… irgendwie Heimat. Und dann nach ein paar Höhenmeter zum Warmwerden hoch zum feinen Familienbauernhof. Und bloß kein Ortstafelsprint. Das machen ja manche Rennradler. Da geht’s vor jedem Ort darum, wer zuerst an der Ortstafel vorbeifährt, praktisch Ziellinie. Das kommt nicht in die Tüte. Weder Sprint noch Streit. Einfach gemütlich angehen lassen. Ist ja Urlaub. Und wir sind reif genug, in den Genussmodus zu schalten.
Die Geschichte des Ortstafelstreits muss ich aber noch fertig erzählen. Hier im Familiengasthof tagt nämlich bis heute ein Sparverein. Die haben früher gut gesoffen. Und dann ein paar Schilling gespart. Ins Kässle. Oder die Kassa, wie sie hier heißt. Trinken. Sparen. Trinken. Sparen. Und dann heim gefahren. Oder in den Graben. Aber bevor die Gendarmerie gekommen ist, war der Unfall wieder aufgeräumt. Die Leute in dem kleinen Tal haben zusammengehalten. So gut, dass sich vor langer Zeit mal ein Gendarm in der Kneipe beschwert hat, dass man denen nie was nachweisen kann, denen da oben die im „Tal der Gesetzlosen“ wohnen. Und den Rest könnt ihr Euch denken. Der Spruch vom Gendarm hat sich rumgesprochen. Und die Leute im abgelegenen Tal waren stolz darauf, dass sie im Tal der Gesetzlosen wohnen. Dann haben sie sogar eine Ortstafel aufgestellt „Tal der Gesetzlosen.“ Das hat niemand gekümmert. So lange, bis man im Zuge des Ortstafelstreits alle Ortstafeln kontrolliert hat. Da haben die Behörden entdeckt, dass hinter der offiziellen Ortstafel noch eine steht. Und dann haben sie tatsächlich Jahre gebraucht, bis sie offiziell verfügt haben, dass die Gesetzlosen-Tafel verschwinden muss. Jetzt steht sie auf den Privatgrundstücken unseres kleinen Martinihof. Der Wirt wurde vom Gesetzlosenbeirat offiziell beauftragt, die Tafel hier aufzustellen.
Erkenntnis des Tages: Gesetzlose sind keine Anarchen. Die halten sich zwar an keine Gesetze. Aber an die Regeln, die sie selbst aufgestellt haben, daran halten sie sich schon. Ich muss das wissen, ich hab ein gutes Gespür für das Kärtnerische. Das hab ich selbst in die Wiege hineingelegt. Ich Zeugungskärntner.