17 Jun Fliegender Teppich
Etappe 18, Tourette de France, Imperia – Savona, 79 km, 550 Höhenmeter.
Wenn Du alles hinter dir hast, gibt‘s wenig schönes als auf der Via Aurelia die Capis runter in die Badeorte reinzusausen. Es ist Sonntag. Auf dieser Riviera-Hauptstraße ist kaum was los. Halb Italien liegt am Strand in den Bagni auf diesen Liegen, die so penibel präzise angeordnet sind, als hätte sie ein deutschbeamteter Geometer vermessen. Man hört Gerüchte, dass die Mietrechte der Strandliegen vererbt werden – und im italienischen Grundbuch eine eigene Spalte dafür vorgesehen wurde. Das deutsche Wort „Liegenschaften“ soll davon abstammen. Dort macht also halb Italien das, was ich nächste Woche vorhabe. Nix. Die andere Hälfte speist zuhause mit der Familie. Auch das steht für nächste Woche auf meinem Programm.
Mit „Capis“ sind die schrofffelsigen Ecken gemeint, die eine Bilderbuchbucht von der nächsten trennen. Da geht’s schon mal 100 Höhenmeter runter, was dir als Radler zuerst ne Super Aussicht beschert, dann eine beschwingte Abfahrt. Wenn du dich in der Ebene in den Windschatten einer Vespa hängst, Superman Hilfsausdruck. Muskel statt Motor. Flooooow! Die selbsterfundene Tourette de France erfolgreich absolviert, ein im Grunde sinnbefreites Unterfangen zweier Luxusradler mit Lust am Leiden. Mit dem erwünschten Nebeneffekt, mittags und abends fein zu spachteln ohne ein Gramm zuzunehmen. Jetzt sind wir beide auf unserer persönlichen Tour d‘Honeur. Der Michl fährt ins feine Relais, wo er auf die Michlgattin trifft. Ich bin gleich in Savona und treffe auf die Textergattin. Erstere feiern Ehejubiläum. Letztere hängen bei Muttern rum, bereit fürs selige Nichtstun. Schon beim Gedanken daran, lasse ich nach und verliere den Windschatten der Vespa. Dann trete noch einmal in die Pedale, weil’s übers Kopfsteinpflaster in Luano Schub braucht. Peng! Buff. Pffffffft. Finale Flow noch vor Finale Ligure. Es gibt schlimmere Orte, um einen neuen Schlauch aufzuziehen als die Strandpromenade in Luano.
Zweieinhalb Wochen Radlerglück liegen hinter uns. Kein Auto hat uns übersehen, kein Blitz getroffen, kein Split in der Serpentine über den Rand des Wahnsinns getrieben. Nur zweimal war‘s knapp. In Culoz und In Barcelonette. Sprich: Zwei nette Stories zum Schluss. In Culoz hat sich der Helm vom Michl sowas von bewährt. Gut, dass er seinen Helm sogar auf hat, wenn er in die Bäckerei geht. Wer weiß, wie er sich seinen Kopf an den schweren, runterhängenden Rolladen angeschlagen hätte, wenn er ohne Helm da rein wäre. Vermutlich überhaupt nicht. Weil ohne Helm 10 Zentimeter kleiner. Sogar der Michl. Aber so war er top geschützt und kann sich jetzt einen neuen Helm kaufen, weil der alte geschlitzt jetzt. Zerschellt an der Boulangerie.
Zweite Situation in Barcelonette. Kurz vorm Etappenziel. Praktisch im Zielsprint. Als der Michl durch die zweite Ausfahrt Kreisverkehr flitzt, ich hinterher, und der Michl nur den Donnerhall hört, als hätte ein Kieslaster seine Ladung in die Mitte des Kreisverkehrs gekippt, weil dem Lasterfahrer die Kreiselkunst nicht gefiel. Merke: Nicht nur Kieslaster haben so einen Sound, wenn sie was abladen, auch fliegende Teppiche machen so einen Krach. Jetzt kein Scheiß: ein fliegender Teppich! Wenn ich es dir sage. Der war vorher noch auf dem Dach des klapprigen Citroën, der erste Ausfahrt eine Vollbremsung hinlegt, weil ich im Kreisverkehr Vorfahrt, wenn ich drin bin. Keine Ahnung, wie der Citroën-Heini seinen Baumarkt-Teppich auf dem Dach befestigt hat oder auch nicht. Jedenfalls fliegender Teppich wuchtiges Kaliber, wenn er vom vollbremsenden Autodach nach vorn über die Windschutzscheibe in den Kreisverkehr gefeuert wird. Da musst du furchtlos dicht an der Kreiselkunst navigieren, damit dich die Teppichrolle nicht vom Rad fegt. Am besten mit Karacho weg aus der Kreuzung, denn du musst vorher durch sein, bevor dir der Teppich den Weg abschneidet.
Bevor uns das Radlerglück verlässt, stellen wir unsere treuen Strampelraketen in die Ecke und legen die Beine hoch. Endlich. Bevor einer denkt, wir würden nichts anderes treiben im Leben. Damit verabschiedet sich das Tourette-Diario von den Leserinnen und Lesern. Es wandert in den Datenmüll meiner Website. Dort könnt ihr bald Bilder und Route nachschauen. Aber erst in ein paar Tagen, wenn ich mit Beine hochlegen fertig bin.
Wir hatten Orangina im Tank, und die Ehre, Euch mitzunehmen auf unserer Tourette de France. Ein großes Vergnügen für uns Möchtegern-Wichtigradler. Ganz herzlichen Dank für Resonanz, Motivation und Anfeuerung. Besser kann‘s nicht sein. Bleibt bitte uns treu, selbst dann, wenn wir Non-Cycling-Content absondern. Wir wünschen Euch allen super Reisen, wie wir sie genießen durften. Und wenn ihr mal platt im Regen steht, wünschen wir Euch, dass sich eine Tür öffnet, aus der eine freundliche Französin eine wärmende Tasse Kaffee reicht. Arriverderci und Au Revoir. Euer Michl. Euer Bernd.