26 Sep Der Frosch muss mal
Etappe 3, Luxembourg – Habay-La-Neuve, 48 km, ca. 670 Höhenmeter
Das Deutschlandticket wird teuerer, und man muss dreimal den großen Bahnmanagern Hosianna singen, dass sie ihren Betrieb noch nicht ganz ruiniert haben. Die Züge, die noch funktionieren, kosten entsprechend. Und selbst darüber gibt’s Diskussionen. Das kommt halt raus, wenn eine bayrische Partei Deutschland lenkt. Die Umgehungsstraße um Herrsching rum soll super sein. In Luxemburg sind Öffis gratis – und sie funktionieren. Das muss getestet werden, zumal es heute dauerschauert. Abstand nehmen von der Tourenplanung ist hier angebracht, auch wenn’s die eigene ist. Selbst die Eiserne Regel, wonach auf alle Fälle durchzuradeln ist, also egal was kommt, hat auf Dienstreisen einen Gummiparagraf drin. Du darfst ja nicht erkältet ankommen.
Also nehme ich von Saarbrücken den Zug nach Luxemburg-Stadt. Wobei ich entdecke, dass das kleine Konz, wo ich umsteigen darf, drei Bahnhöfe hat. Vielleicht könnte man daran mal sparen, einer wäre praktischer beim Umsteigen. Ich strample kurz vom Bahnhof 1 am Bahnhof 2 vorbei zum Bahnhof Kreuz Konz und freue mich auf einen erholsamen Tag. Außerdem bin ich glücklich in der Heimat von „Alfons Berg aus Konz“ (Sorry, ein Insiderpromi) gewesen zu sein. Nur diejenigen, die gaaaanz lange Bundesliga schauen, wissen, was das für einer war. Hat unter anderem Frankfurt so verpfiffen, dass der VfB Meister wurde. Damals vor 30 Jahren. Und nie wurde er nur Alfons Berg genannt. Immer „Alfons Berg aus Konz“ Ich glaub fast, das steht an seiner Haustür. Alfons Berg aus Konz. Fast wie Adelstitel. Keine Ahnung, wo er heute wohnt. Und auch keine Ahnung, dass heute noch mehr Prominenz auf mich wartet.
Jetzt Zugfahren nochmal. Geht‘s Dir eigentlich auch so im Zug? Du sitzt die ganze Zeit tiefenentspannt drin. Erst wenn du aussteigst, merkst du den leichten Druck., der schnell stärker wird. Vielleicht so ein Ding des Alters, weiß nicht. Jetzt ist es als Alleinreisender mit Fahrrad ja doof am Bahnhof. Man lässt keine Koffer unbeaufsichtigt, und das Rad mit allem dran auch nicht. Weiter kein Problem, die Mittagszeit naht, Kneipe wäre jetzt eh angesagt, am besten eine mit guter Küche. Also weg aus der Bahnhofsgegend, besser rüber ins feine Viertel. Immer der Nase nach und dem Drang. Zugegeben, mein Sitz auf dem Sattel war schon mal bequemer. Zeit wär‘s. Auf der anderen Seite des Flüsschen Alzette, das hier sehenswert repräsentativ überbrückt wird, ist allerdings einiges los. Klar so kurz vor Mittag. Drum auch keine Zeit für Luxembourg Fotos, es liegt dringenderes an. Und die Kneipen sind wahrscheinlich gleich voll. Und was soll das hier, hä?? Überall Straßensperren, Doppel und dreifach, an jeder Absperrung stehen Uniformierte. Scheinbar die gesamte Polizei von Luxemburg da, Stadt und Land. Dreifach verriegelte Straßen. Mein lieber Herr Polizeigesangverein! Europatreffen? Friedensgipfel Nahost? Ich erkundige mich beim Beamten an der dritten Absperrung. Der Papst! Fährt gleich Papamobil, sagt der Herr in Uniform. Ja klar, und ich bin der Kaiser von China. Aber von Uniformierten wirst du selten vergackeiert.
Man darf getrost davon ausgehen, dass ich in diesem Moment der einzige Zufallstourist der ganzen Stadt bin. Weiter drüben stehen die Leute dreireihig an den Absperrungen. Die wissen, warum sie da sind. Manche haben christliche Flaggen mitgebracht. Bin ich etwa aus reinem Zufall, verstärkt durch Harndrang, direkt an der Papamobilstrecke gelandet? Und wenn ja, wann kommt der? Weil: Bei mir wär‘s grad echt ungeschickt. Weniger Leute und ne Nische in der Hecke wären mir grad lieber. Hilfreicher Gedanke: So ein heiliger Herr lässt sich sicherlich würdevoll Zeit. Kennt man ja von vielen Umzügen. Da dauert doch jeder länger als gedacht. Fasching, CSD, Demo – da geht doch nie was voran. Wenn dann mal so jemand wirklich Würdevolles kommt, zum Beispiel der Papst: Garantiert zieht sich das Zeremoniell. Der Logik folgend, hätt ich noch ein paar Sekunden. Prioritäten setzen. Und nun, was soll ich sagen: Als ich von der Kneipentoilette zurückkomme, seh ich schon wie das Personal auf dem Handy den Papst im Mobil zuschaut. Wie der durch die Stadt flitzt. Pünktlicher als die Luxemburger Bahn. „Sorry, Franziskus. Ich war aus wichtigen Gründen verhindert.“ Als ich diese Gedanken an den Heiligen Franziskus richte, spüre ich förmlich, dass ich beim päpstlichen Segen mitgemeint war. Eine gewisse Erleichterung, nachgerade Befreiung, macht sich tief in mir breit.
Dermaßen gesegnet treff‘ ich gleich die nächste Fehlentscheidung. Schließlich soll sich mein Tag nach Radfahren anfühlen. Ich steige auf den Sattel. Die letzten Kilometer der Etappe werden also gefahren. So schlimm ist das Wetter auch nicht. Punkt. Und so beginnt das Frosch-Paradoxon des Radfahrens. Kennt man vielleicht. Wenn der Frosch im Wasser sitzt, und du machst heiß, springt er raus. Wenn du die Temperatur langsam hoch drehst, bleibt er drin bis er eingeht. Wenn Frosch Bernd draußen Pisswetter sieht, bleibt er drin. Wenn du ihm nur langsam den Wolken-Wasserhahn aufdrehst, fährst er so lange bis er in den Pfützen ersäuft. Zwanzig Kilometer später seh ich vor lauter Wasser kaum noch was vom heiß geliebten Belgien. Tropfen auf der Brille und Tropfen auf dem Navi führen fast dazu, dass ich schwungvoll auf die Autobahn einbiege. Sieht vor lauter eh keiner wie ich zum Kreisverkehr zurück schiebe. Ähem. Dann lieber Vizinalstraße mit Kack-Belag. Belgien halt. Perfektion ist anderswo. Schlaglöcher siehst du halt auch schlechter. Es sie denn, die Belgier haben einen Pylon draufgestellt. Das gilt als repariert. Es gibt ne Seite im Netz, die sich „Belgian Solutions“ nennt. Meine Empfehlung. Während ich um all die Solutions aus Asphalt herumkurve, bleibt keine Faser trocken. Auf den Belag steht inzwischen das Wasser so tricky, dass ich bei einer Abfahrt fast aus der Kurve drivte. Oder… Bitte nicht… Doch… . Warum haben wir Frösche immer dann platt, wenn wir eh komplett in der Suppe sitzen? Manno.
Andererseits: Ich bin in den Ausläufern der Ardennen. Legendär geworden sind die nicht wegen Sonnenschein, Criusen und Heididei. Als hartgesottener Flandrien der Varietät Ardenneur muss man die lokaltypischen Widrigkeiten abkönnen. Nur wenn der Papst persönlich die Sintflut schickt, dann darf man ausnahmsweise die Etappe verkürzen. Aufgrund höherer Gewalt.
Erkenntnis des Tages: Rennradfahren sei das neue Golfen. Hab ich neulich gelesen. Nee, meine Damen und Herren, ist es nicht.