29 Mai Ö
Bergerfahrung, Etappe 4, Hinterriß – Kiefersfelden, 140 km, ca. 1500 Höhenmeter.
Als ich letztes Jahr mit Strampeln und Tagebuch am Ziel war, wurde ich am selben von einer Leserin gefragt, ob ich Wolf Hass kenne. Ertappt. Kompliment Hilfsbegriff. Ich nehm mir ja oft vor, weniger von ihm zu lesen. Aus Selbstschutz. Haas färbt ab. Da kannst du nichts machen, zumindest nicht, wenn du seinen Stil so korrekt findest, dass du dich wunderst, warum nicht alle so schreiben. Wer Haas kennt, kann mir manches um die Ohren hauen, von wegen sei nicht von mir. Stilistisch gesehen. Jetzt hat der Hass als Autor halt den zusätzlichen Vorteil, dass er Österreicher ist. So viele hochverehrte Autorinnen und Autoren aus diesem Land. Weit mehr als zum Beispiel aus… sagen wir mal … Niedersachsen. Was jetzt nichts gegen Niedersachsen, aber für Österreich, gegen die hat literarisch kein anderer Landstrich eine Chance.
Ich musste dran denken, weil wir gestern und heute dauernd rum und num fuhren. Deutschland, Österreich, Deutschland, Österreichische Enklave, Deutschland, vier Kilometer Österreich, Deutschland und so fort. Darum musste ich an Teresa Präauer denken, Kollegin von Wolf Hass, die neulich in einen Text erklärte, warum Österreichisch die beste Sprache der Welt ist und die Leute dort so gut schreiben. Nichts mit Pisa-Studie übrigens. Das hat die Präauer so gut formuliert, das geht an dieser Stelle nur wörtlich. Frau Präauer, bitte: „In Österreich? Ist wirklich so: Wir stehen auf, werden mit Gedichten geweckt. Gehen in die Schule, lernen das Alphabet am ersten Tag. Ungelogen! Schreiben bald Prosa, schließen mittags ab mit Drama. Kein Witz. Oder tausend Witze? Essen unsere Mahlzeit im Takt von Reimen, leiten den Nachmittag mit Epen ein. Genießen die Freizeit im Schatten riesiger Bücher, erwarten den Abend mit den Klängen der Maultrommel in etwa. Überhaupt gibt es da sehr viel, worüber man sagt: in etwa, ungefähr, wir schauen einmal. Kaum ein Ja, kaum ein Nein. Wir schauen einmal. Und sagen dies einhellig, die Dichtung kommt ja vom Gesang. Und wirklich, wer mit den Texten von Ernst Jandl aufwächst – ist das heute noch so? -, sitzt mit dem Nachbarskind am Straßenrand und wiederholt: „ottos mops kotzt. otto: ogottogott“. Und ein älterer Nachbar geht vorbei, und sagt ganz beiläufig: „Ernst Jandl.“ So spricht man hier miteinander.“
Jetzt wieder ich. Die bekommen ja vieles nicht auf die Reihe, die Österreicher, allen voran den eigenen Staat, aber Literatur, frage nicht. Weltmeister. Und das auch wieder typisch: Werden Weltmeister in einer Disziplin, in der du überhaupt nichts gewinnen kannst. Manchmal sind sie ganz vorne dabei, zum Beispiel bei der Kack-Idee, rechten Populismus wieder salonfähig zu machen. Und die Idee war verdammt nochmal so erfolgreich, dass es nichts nutzte, dass sie Jörg Haider persönlich an die Wand gefahren hat. Die Idee hat überlebt und wuchert seither.
In dieses besondere Land sind wir heute rein gefahren und wieder raus – und wir können bestätigen, dass du in etwa keinen Unterschied merkst. Berge, Währung, Populismus – alles nur in Nuancen zu unterscheiden. Sogar eine Extratour, die eine 20 Kilometer Verlängerung unseres ursprünglichen Planes, haben wir gemacht. Ahornboden, ganz hinter, weit hinter hinter Hinteriß, Tal- und Weltende, Naturschutzgebiet, Träumchen am frühen Morgen. Wenn über einem naturbelassen und geschützten Alpental die Sonne aufgeht, dann etwa so, wie bei mir mit Texten von Teresa Präauer. Jüngstes Buch: „Kochen im falschen Jahrhundert“. Die Frau schreibt halt über die wichtigen Dinge.
Andererseits: Das Ding mit Österreich und der Literatur kann ja auch Zufall sein. Zufall wird ja in solchen Sachen nur ungern genommen. Weil: Ein Grund wär ja besser. Eine Erklärung. Zufall wirkt immer so wie nicht lange genug nachgedacht. Oder nicht kapiert, oder unerforscht. Also so wie mit meinen Platten heute. Ja schon wieder. Diesmal auf der Abfahrt in eine Karwenzkiesel reingedonnert, der sich auf schönsten Asphalt im Baumschatten versteckte. Puff. Puff. Doppelpunkt. Zwei satte Schlitze im Schlauch. Jetzt kannst du natürlich fragen: Warum immer ich? Zu doof zum Pumpen? Zu dämlich um den Schlauch sauber rein zu legen? Oder zu blöd zum Radfahren. Könnte man alles vermuten, aber vermutlich ist alles ganz einfach: Zufall halt. In etwa. Einfach Zufall. Ich sammle Fahrradplatten in allen Variationen. A Collection of punctures by Bernd. Apropos Wiederholung. Wie war das nochmal im Österreichischen mit der Variation, Frau Praäuer?
„Man gönnt sich in der Sprache die Variation. Und gönnt sich die Wiederholung, weil die Wiederholung Rhythmus baut und Klang. Und so setzen wir noch einmal an und wiederholen in vielstimmigem Chor: In Österreich stehen wir nur auf, wenn man uns mit Gedichten weckt. In die Schule gehen wir und lernen sogleich das Alphabet. Schreiben bald Prosa, schließen das Drama mit einem Mittag ab. Kein Witz und tausend Witze. Der vielzitierte Humor. Ich kenn‘ keinen Schmäh, den ich jetzt erzählen könnt‘. Es ist vielmehr so: Bei uns wird der Wortwitz kultiviert. Wir essen unsere Mahlzeit mit Reimen, leiten den Nachmittag mit Epen ein. Im Schatten riesiger Bücher genießen wir die Freizeit, erwarten den Abend mit dem Klang des Akkordeons. Schauen wir mal! Überhaupt sagt man: in etwa, ungefähr, wir schauen einmal. Kaum ein Ja, kaum ein Nein. Ein Ja und ein Nein sind in unseren Ohren wie Ohrfeigen, die man hier Watschen nennt.“
Erkenntnis des Tages: In Kiefersfelden wurde neulich die letzten innerörtlichen Kiefern gefällt. Nicht wegen Befall. Städtische Baumaßnahmen. Wichtige Bauten. Da mussten die Wahrzeichen halt Platz machen. Ein Hauch von Stuttgart 21 weht. Ich fühl mich wie zuhause – an der Grenze zu Österreich.