Kali Werra - Texter Sautter
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Kali Werra

Deutschland-Protokoll (Etappe 6) TanneTiefenort, 156 km, 1660 Höhenmeter

Wunderbar! Wenn du als Schwabe den Harz Richtung Süden runterfährst, fühlt sich Deutschland plötzlich wie Heimat an. Das liegt an der Landschaft, mit der sich die Dörfer verändern. Die häufigen Straßendörfer der Ebene sind verschwunden. In den sanften Wellen von Nord-Thüringen finde ich wieder die Haufendörfer, die ich von zu Hause kenne. Am Hang des Südharz staut sich die Wärme. Ein Genuß am Morgen. Meine Tour führt zickzack über Dörfer, mit jedem Dorf und jedem Hügel etwas weniger zackig. Heut strample ich etwas länger. Für ein Feinschmecker-Ziel kann man das schon mal machen. Zumal die welligen Hügel meinen Knochen entgegenkommen. Dauernd flach, da wirst du mürbe. Mal etwas rauf und runter… im Terrain der Klassiker fühle ich mich auch radlerisch wohler. Die Passagen auf alten DDR-Straßen klammere ich aus. Darum hat mich mein Hintern gebeten.

Meine Schlaf-Pritsche steht in der Umkleidekabine der ersten Mannschaft von Kali Werra Tiefenort. Tiefenort ist ein überschaubares Nest südlich des Rennsteigs. Die Tiefenorter haben früher im Kalibergbau gearbeitet, heute nur noch manche. Wie an anderen Orten auch, unterstützte der Bergbau den Sportverein. Seit 1956 firmierten die Kicker unter der Bezeichnung „BSG Aktivist Kali Werra Tiefenort“. Draußen am Vereinsheim hängen noch schöne Wappen. BSG Aktivist Kali Werra Tiefenort – ein Gedicht des alten DDR-Fußballs. Natürlich auch deshalb, weil Kali Wera am Ball was konnte. Sie waren über dreißig Jahre Stammgast in der DDR-Liga, der Spielklasse unterhalb der ersten Liga. Nach Tiefenort ist keiner gerne gereist. Hier hab’s gern mal was auf die Mütze.

Als wären Name und frühere Größe nicht genug, hat Kali Werra noch ein absolutes Mega-Argument für Kenner der gepflegten Fußballkultur: das Stadion im Kaffeetälchen. Einstiges Fassungsvermögen: rund 8.000 Zuschauern. Natürlich waren früher häufig mehr da, als das was aktuell rein sollte. Heutiges Fassungsvermögen: rund 8.000 Zuschauer. Will sagen, das Stadion ist noch fast original erhalten. Rundum nur Wald an vier Seiten. In der Mitte ein Stadion mit steilen Rängen. Keine Modernisierungschande. Alles weitgehend wie früher. Groundhoppers feuchter Traum.

Vor vier Jahren war ich zum ersten Mal beim Redaktionstreffen des Fußballmagazins Zeitspiel. Bevor der offizielle Teil startete, machten wir brav eine Vorstellungsrunde. Der Erste der Runde erwähnte seinen Lieblingsort. Kali Werra. Der Zweite erwähnte nach seiner Vorstellung, dass er auch schon in Tiefenort war. Ich schnappte mein Taschentelefon und Google hastig unterm Tisch, wo dieses Tiefenort eigentlich liegt. Der Dritte, der Vierte… nur der Württemberger Teil der anwesenden Tafelrunde war ahnungslos. Endlich ist die Bildungslücke gestopft. Und ich muss zugeben: Wie wundervoll ist das denn? Wenn man mich fragt: Einer der schönsten Grounds in Europa. Hier findet am Samstag unser Zeitspiel Redaktionstreffen statt. Der Ruhetag auf meiner Tour.

Natürlich darf ich jetzt, da viele Zeitspieler mitlesen, den Abo-Hinweis nicht vergessen: Bitte abonniert das Magazin. Die Zukunft des Fußballs werden wir nicht gestalten können, ohne seine Vergangenheit präzise zu vermessen.

Besonders klasse dabei ist die Gastfreundschaft der Sportskameraden am Ort. Ein (wieder) lebendiger Klub, der dazu beiträgt, dass auf dem Land was los ist. Sowas wie einen funktionierenden Dorf-Verein findest du in der Stadt eher selten. Muss nicht unbedingt Fußball sein, kann aber auch. Im Falle von Tiefenort haben sicher auch die vielen Besucher dazu beitragen, dass dem Verein bewusst wurde, welches Kapital in der Geschichte und dem besonderen Ort liegt.

Ach ja, Radfahren… fühlt sich an wie Halbzeit. Nach sechs Etappen darf man sich schon mal ein richtiges Bier gönnen. Zum Wohl

Erkenntnis des Tages: Sollte die Menschheit mal von diesem Planten verschwinden, tun sich die nachfolgenden Lebewesen schwer zu erklären, was da übrig geblieben ist. Ganz vorne dran: Skischanzen. Da kommt doch keiner drauf, für was in aller Welt diese Landschaftshieroglyphen gebaut wurden. Ein schönes kleines Exemplar fand ich am Südhang des Harzes. Ob sie noch benutzt wird? Sollte einer mal ein Magazin namens Zeitsprung gründen, werd ich gerne einen Bericht über diese Schanze beisteuern. Das Schweißen wir bitte ein. Nur als Erklärung für die nachfolgenden Lebewesen.

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