Madonna - Bernd Sautter
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Madonna

Madonna

SCHWATZIERFAHRT, Etappe 11, Saint Vincent – Oropa, 75 km, 1.700 Höhenmeter

Italien seit jeher nah am Himmel gebaut. Auch die Radfahrer haben ihre speziellen Stätten. Heilig Hilfsbegriff. Sie liegen samt und sonders oben am Berg. Damit man zünftig hochpilgern kann. Radpilgern braucht Prozente, sonst zählt’s nicht. Die vier heiligsten aller heiligen Auffahrten führen hoch zur Madonna di Ghisallo, hoch zu San Luca, hoch zu Superga und hoch zu Oropa. Fangen wir vorne an. Die kleine Kapelle der Madonna di Ghisallo ist längst vollgestopft mit Fahrrad-Devotionalen. Daneben gibt’s ein tolles Museum. Die Kapelle liegt hoch über dem Comer See. Michls Trainingsroute führt da vorbei. Das Monument Lombardei-Rundfahrt führt jedes Jahr hoch zur Madonna. In Turin ist die Auffahrt zur Basilica della Natività di Maria Vergine eine heilige Angelegenheit. Sie steht auf dem Stadtberg Superga. Und so nennt man umgangssprachlich die Kapelle die auf dem gleichnamigen Berg thront. Das älteste Radrennen der Welt Milano – Turino endet immer mal wieder mit der Auffahrt zur Superga.

Dann natürlich muss man San Luca hoch über Bologna nennen. Ein Kreuzgang führt von der Stadt hoch. Mit Arkadengängen. Praktisch voll überdacht. Daneben eine Straße, die mit dem Rennrad richtig weh tut. Der Giro d‘Italia schaut immer mal wieder bei San Luca vorbei, letztes Jahr sogar die Tour de France.

Jetzt muss ich um Verzeihung bitten. Es folgt ein Werbeblock. Ende des Monats erscheint die neue Ausgabe des Magazins Zeitspiel. Ich hatte das Vergnügen einen Text über Kultstätten der Fußballs beizutragen. Ich zeige die Kult-Faktoren anhand des Stadio Dall‘Ara von Bologna, das genau am Fuße der Auffahrt zu San Luca liegt. Das beste Fußball-Magazin gibts unter www.zeitspiel-magazin.de. Werbeblock Ende.

Fehlt noch Oropa. Ne, fehlt nicht mehr. Da sind wir gerade. Die Wallfahrtskirche liegt schlappe 800 Höhenmeter oberhalb von Biella. Wir haben uns eine Stube genommen, wo wir übernachten und die geschundenen Beine hochlegen. Verehrt wird die Schwarze Madonna, eine kleine Holzfigur. Sie soll schon manches Wunder vollbracht haben, vielleicht auch heute. Michl hat tatsächlich am Oropa Aufstieg seine Beine wieder gefunden. Eher ein minderes Wunder der Madonna, aber bitte, so entstehen Legenden. Hab ich nicht neulich was von Übertreibung und Ausschmückung geschrieben? So geht‘s. Mit einer wunderlichen Bemerkung in einem Diario. Tatsache ist, dass der Anstieg hinterhältig ist, unten lässt er dich noch generös rollen. Oben, wenn du platt bist, stellt er dich ab, unterhalb einer Wand mit zweistelligen Prozentzahlen. Viele Giro-Etappen gingen hier zu Ende. Die beiden legendärsten im Jahre 1999 und in 2024. 99 holt sich Pantani den Sieg, und zwar nachdem er kurz nach Biella gestützt war 25 Jahre wiederholt Tadej Pogacar das Missgeschick und auch den Etappensieg. Nachdem er sich in einer Rechtskurve an der letzten Kurve in Bialla flachgelegt hatte. Sowas nennt man Wiederauferstehung. Irgendwas muss dran sein.

Und tatsächlich, Man muss schon sagen: Eine fantastische Anlage. Einer dieser Orte, die du zwar fotografieren kannst, aber damit nur ein Abbild produzierst und keine adäquate Atmosphäre. Nachdem wir am späten Nachmittag eintreffen, legt sich der Besucherrummel allmählich. Die Stimmung wird von Minute zu Minute klösterlicher. Die Mahlzeit weitaus wohlschmeckender als man es von deutschen Wallfahrtskantinen gewohnt ist. Der klassische Klosterbetrieb wurde allerdings eingestellt. So nächtigen heute Besucher wie du und wir in den ehemaligen Stuben – und schlendern abends durch die verlassenen Anlagen. Tief beeindruckt.

Erkenntnis des Tages: Gospel ja nicht so meins. Aber wenn der Gospel-Chor von Biella in der kleinen Kapelle mal richtig aufdreht: So schön, das treibt sogar dem Gospelbanausen Pi-Pi in die Augen, so schön ist das. Eigentlich auch ein kleines Wunder.