Backhaus - Texter Sautter
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Backhaus

Warmfahren, Etappe 1 (Stuttgart- Bad Rippoldsau)

Jetzt geht das wieder los. Die ungewöhnlichsten Abenteuer beginnen vor der eigenen Haustür. Grad wenn Du keine Reiseziele magst, die unter akuter Hipness leiden, kannst du schon am ersten Tag mittendrin sein: im Schwarzwald. Sportskamerad Krauss, der sich für drei Tage im Windschatten befindet, will hier sogar das rauhe Flair des Ostens wahrnehmen, hier in den Urlaubssiedlungen zwischen den Fichten. Da könnte was dran sein: Die Gegend muss mal hip gewesen sein. Eher Siebziger-Achtzigerjahre, so rum. Denn hier gibt’s zwei Arten von Bauwerken. Einerseits die Gebäude mit den typischen Schwarzwaldornamenten, kennt man ja. Andererseits die gradlinigen Riesentouribunker aus der vorigen Epoche von Hipness. Eher Schwarzwälder Moderne. Rechtwinklig. Dunkle Materialien. Hat einen großen Vorteil. Es bleibt so duster, wenn es in die Jahre kommt. Architektur, die nicht altert, weil sie schon im Neuzustand alt ausgesehen hat. Zugeben, mein Blick ist verstellt, weil wir zuletzt über den Kniebis geradelt sind. Bißle Acapulco. Also der poröse Charme eines Ex-Place-to-be. Beim Metzger an der Hauptstraße sind die Jalousien schon ein paar Tage runter. An der Ladentüre hat sich der Kleber „Für Leistung und Qualität ausgezeichnet 1984“ gut gehalten. Ganz schön Kniebis, Alder.

Also gerade passendes Reiseziel für unsere leistungsbereite Radeldelegation, die letztmals bei den Bundesjugendspielen 1982 ausgezeichnet wurde. Auch super Empfang vom Schwarzwald. Wenn du hinter Herrenberg den kleinen Hügel raufschnürst, fährst du in den Schwarzwald erstmal runter. Klasse. Abfahrt ist Nagold für unsere semiknackigen Waden. Klar wird’s irgendwann bitter. Aber die Steigungen immer belohnt von historischen Entdeckungen. Zum Beispiel das Backhäusle in Bösingen. Sehr geschmackvoll, erbaut 1880. Immer noch in Schuss. Dort wird an normalen Tagen Brot und an Festtagen die Bösinger Schlapper gebacken. Schlapper! Festtagsgebäck in Form von Hausschuhen. Mega. Ich bin ja ein Fan dieser Backhäuser. Ein Ort der Gemeinschaft, an dem was leckeres entsteht. Gibt’s ja in vielen kleinen Dörfern. Zur Sicherheit der Bürger. Viele haben damals zu Hause solche heiße Öfen gehabt. Muss ja richtig heiß sein, sonst wird das Brot lapprig. Aber Problem: Die Leute haben oft nicht nur den Ofen heiß gemacht, sondern das eigene Haus gleich mit. Drum gibts Backhäuser, ausgestattet mit guten sicheren Öfen, und zusätzlich mit Löschzeugs von der Feuerwehr. So wie in Bösingen.

Gebrannt hat’s bei uns natürlich auch. Eher in den Beinen. War ja schon arschkalt am hellen Stuttgarter Frühlingsmorgen. Aber Schwarzwaldbuckel besser als jedes Wärmepflaster. Und oben angekommen auch noch Kniebiss. Die effiziente Variante von Warmfahren. Funktioniert am ersten Tag auf Anhieb. Gastfreundschaft auch 1A. In diesem Nest kein Wirtshaus offen. Aber die Pensionswirtin holt höchstselbst Veggiepizza aus dem Nachbarort. Echt Schwarzwälder Kirschservice. Architektur wird sowieso überbewertet.

Erkenntnis des Tages: Wenn das Tempolimit wirklich an zu wenigen Schildern scheitert (wie neulich der freie demokratische Vollhorst-Verkehrsminister behauptet hat), hätten wir einen Vorschlag: Nehmt doch die Gottesdiensthinweise an jedem Ortseingang. Die interessieren seit vielen Jahrzehnten keinen Autofahrer. Oder mal direkt vor Gott gefragt: Ist hier jemand, der sich das an seinen eigenen Wohnort so genau angeschaut hat, dass er weiß, wann der evangelisch-methodistische Gottesdienst beginnt?

Hildizhausen
Pfalzgrafenweiler
Kniebis
Zur zweiten Etappe des Warmfahrens: