Rotis - Texter Sautter
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Rotis

Bergerfahrung, Etappe 2, Steinhausen – Hopferau, 128 km, ca. 2.100 Höhenmeter

Schon mal gehört? Rotis. Ein kleiner Weiler in einen gut versteckten Allgäu-Winkel. Da war‘n wir heute, extra einen Umweg gefahren, einen verdammt hügeligen sogar. Hügel eh überall. Sanfte Hügel würde man sagen rein visuell. Hinterfotzige unrhythmische Hügel, wenn man strampelt. Und in einem tiefen Einschnitt zwischen den Hügeln: Rotis. Frechheit eigentlich, dass das Weiler-Schild, auf den „Rotis“ zu lesen ist, in DIN Normschrift gesetzt ist. Hätte man doch eine Rotis nehmen müssen. Die Schrift des großen Designers (Grafiker, Designer, Typograf, Fotograf, Bildhauer, Architekt, Autor) Otl Aicher, die er nach seinem Domizil benannt hat. Wer ne Küche plant: Unbedingt „Die Küche zum Kochen“ von Aicher lesen. Die Küche wird danach anders, besser. Die meisten kennen Aicher wegen seiner bahnbrechenden Arbeiten rund um Olympia 72 in München. Wir Expresso-Boyz ja eher design- als leistungsorientiert. Daher Pflichtstation Rotis. Radbrille ab, Designerbrille auf. Und „hach“ und „aha“ und „siehe da“, alles nur in Kleinbuchstaben gesprochen, weil Aicher ja niemals Großbuchstaben, ganz Design und wir ja auch. Sogar 2-Meter-Michl nur Kleinbuchstaben gesprochen. Wirklich.

Die verdiente Hymnen über Aicher bitte an anderer Stelle studieren. Steht meistens auch drin, das Aicher auch so einer mit Genie und Wahnsinn. Und dazu ein Allgäuer Dickschädel. Und ich weiß, dass man das ernst nehmen muss. Bei mir stammt das vom Opa mütterlicherseits. Der stammt aus der Gegend. Daher auch ich und Aicher: so dick. Also designverständnistechnisch. Michl hat dazu ne Story, die nirgends steht. Als mal eines Wintermorgens eine Mitarbeiterin ins Büro kam, zu Fuß über die Wiese, wurde sie von Aicher fast gefeuert. Logisch, sag ich als Viertelsallgäuer. Man stapft nicht quer über eine frisch verschneite Wiese. Die Spuren. Wie sieht das aus? Geht mal gar nicht, wenn man in einem Designbüro arbeitet. Muss man doch selber merken.

Schon merkwürdig. Wenn du an Design denkst, denkst du meistens an Stadt. Metropole mindestens. New York, Milano, die Preisklasse. Jetzt stehst du in Rotis am Bach und verneigst dich vor einem Großen. Paar Gebäude gut in Schuß. Aber auch ein paar, bei denen man sagen könnte, Zahn der Zeit beißt halt in alles, ob wegweisend oder nicht. Apropos Zeit und Zahn zulegen: Wir müssen auch weiter, weil ordentliche Etappe. Also am Aicher-Anwesen zügig vorbei. Kein Motorradtempo. Aus pietätischen Gründen. Denn so ist Aicher gestorben. Wollte die Wiese mähen, bis zum Rand, rückwärts auf die Straße raus mit seinem Aufsitzrasenmäher und wurde vom Motorrad über den Haufen gesenst. Kein Witz. In Rotis. Im letzten Winkel vom Allgäuer Niemandsland.

Die Expresso-Boyz heute keine Gefahr im Straßenverkehr. Selber unterwegs im Rasenmähertempo. Strammer Gegenwind aus Richtung Bayern. Voll in die Fresse. Aber Großgeschrieben. Also keine frühe Kaffeepause, strampeln first bitteschön. Deutlich Spuren sportlicher Aktivitäten wahrnehmbar. Angenehm: Kaum Verkehr heute. Erst Niemandsland, dann Mittagspause, dann Bundesligafinale. Aber vor allem: Hochzeiten. Überall. Jeder halbwegs anständige Gasthof heute eine Hochzeitsgesellschaft. Da konntest du die Torschlusspanik fast riechen. Ich würde vermuten: Wer als Heiratswillig(e) Allgäuer(in) heute keinen Ring angesteckt bekommen hat, muss halt warten bis Pfingstsamstag nächstes Jahr.

Was man allerdings nicht verschweigen darf: Heute mussten wir fast die Reise abbrechen. Schwerer Designerunfall. Stellt Euch vor: Lehnt der Michl beim der P-Pause seine Zahnarzt-Maschine an den Pfosten, da kommt so eine neidische Luft aus Richtung Tiefbayern und grätscht das Designerteil mit Schwung auf den Asphalt. Wenn du genau hinschaust, siehst du zwei Kratzer am rechten Handbremshebel. Genau da, wo der Michl mit seinen Designerhänden mit der Maschine zur Einheit verschmilzt. Und jetzt treib mal am Pfingstsonntag einen Schrauber auf, der dir eine neue Komponente einbaut. Da denkst du schon mal an Abbruch. Oder Kündigung der Freundschaft, weil ich daneben stand und nicht aufgepasst habe.

Erkenntnis des Tages: An manchen Tages ist es besser, nichts über Fußball zu schreiben.

Unteressendorf
Bei Nesselwang
Bei St. Koloman
Oberallgäu