Pedaleur du Charme - Texter Sautter
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Pedaleur du Charme

Spritztour (Etappe 4): Weesen am Walensee – Isenthal überm Vierwaldstätter See

Reisen ist ein Privileg. In der Schweiz sowieso. Eigentlich können sich das nur alte Werbeheinis ohne Kinder leisten. Zwei spontane Espresso am Wegesrand in einem gottverlassenen Tal: Acht Franken Dreißig, bitte. Und guadi Fahrt, oderr? Man soll die Gastro unterstützen in diesen Tagen. Die nächste Transalp fahren wir via Österreich.

Wir zwei alten Herren mit Waden, die nur noch unscharf an bessere Zeiten erinnern, können natürlich nicht durch dieses Land fahren, ohne Ferdi Kübler und Hugo Koblet zu erwähnen. Zumal bei der letzten Schweizpassage. Espressohalber.

Kübler und Koblet sind die großen Velo-Helden des Landes. Zwei wie Ronaldo und Messi. Wie Becker und Stich. Wie Coppi und Bartali, um zum Radfahren zurück zu kommen. Anfang der Fünfzigerjahre tauchten die Schweizer Konkurrenten plötzlich auf. Kübler gewann 1950 die Tour de France. Koblet den Giro und ein Jahr später die Tour. Damit ging die Dominanz der Legenden Coppi und Bartali zu Ende. Wie die italienischen Helden die Fans spalteten, gab es auch in der Schweiz zwei Lager. Die Einen hielten zu Ferdi Kübler, der Kämpfernatur. Er arbeitete Radfahren. Mit ausgestellten Ellenbogen wog er hin und her. Ein lustiger Typ mit markanter Supernase. Die Anderen waren ganz angetan von Hugo Koblet. Schöner Mann mit Stil, elegant auf dem Rad, und auch zu Fuß. Kübler konnte man für seine Leistung bewundern. Für Koblet konnte man schwärmen. Kübler‘s Spitzname: Der Adler von Amriswil. Koblet galt als Pedaleur du Charme. Bei Kübler flossen Blut, Schweiß und Tränen. Bei Koblet sah alles leicht und elegant aus. Beau Koblet zog vor der Ziellinie seine Frisur nochmal nach, wenn er mit Vorsprung ins Ziel kam. Der Pedaleur du Charme hatte immer einen Kamm dabei. „Ihm flogen alle Herzen zu“, um es auszudrücken, wie man sich damals gerne ausgedrückt hatte. Der Beau kam später mit Modell Sonja Ruegg zusammen.

Nie wieder hatte die Tour de Suisse eine solche Aufmerksamkeit wie 1951, als der amtierende Girosieger Koblet und den amtierenden Toursieger Kübler traf. Beide auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Kübler gewann. Koblet konnte es verkraften, er holte im selben Jahr den Toursieg. Perfekt gestylt, versteht sich. Genau siebzig Jahre später schnaufen Luz und Sautter durch die Schweiz. Was nichts, aber auch gar nichts mit Kübler und Koblet zu tun hat. Trotzdem wächst mit jedem Höhenmeter der Respekt. Natürlich gibt es Anlass zu Annahme, dass beide gelegentlich nachgeholfen haben, aber der Einwand erscheint preisgünstig, man kann den Verdacht auf sämtliche Helden der Radgeschichte ausweiten. Unsere Extrapower ist weniger preisgünstig. Vielleicht wäre ne einfache Spritze billiger gekommen.

Andererseits darf man zugeben: Man bekommt was geboten fürs Geld. Vor allem Kantone. Heute St. Gallen, Glarus, Schwyz und Uri. Kaum bist du drin, bist du schon wieder draußen. Bei uns in Württemberg hätten sie diese Kleinkantonei längst flurbereinigt. Aber es sind die Kleinigkeiten, die die Schweiz zusammen halten: Petersilie zum Beispiel. Wir hatten noch kein Gericht ohne einen Stängel Trockene Krause Petersilie. Vermutlich lernt man das in der Gastroschule. Petersilie als Zeichen, dass das angerichtete Teller servierfertig ist. Das Gegenteil von Petersilie ist Senf. „Senf verhunzt das Fleisch“, kommentierte der gute Wirt Ruedi vorhin, als er den Schinkenteller mit Petersilie servierte. Andere Kantone, gleiche Sitten. Vermutlich hält ein grünes Kraut dieses vielsprachige, multikantonale Land zusammen.

Erkenntnis des Tages: Das Prädikat „Bergziege“ gilt interkantonal. Hinterm Pragelpass auf Schwyzer Gebiet wurden wir von den dortigen Bergziegen spontan in die Herde aufgenommen. Die hoch intelligenten Tiere haben eine Nase dafür. Sie erkannten es an unseren Zinken: Beides Prachtexemplare. Wie einst Ferdi Kübler.

Im Klöntal
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