Le fou pédalant - Texter Sautter
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Le fou pédalant

Spritztour (Etappe 5): Isenthal überm Vierwaldstätter SeeBiasca

Lustig wird‘s, wenn was schief geht. Nach dem Mittagsmahl in Andermatt entdeckten wir ein provisorisches Hinweisschild, welches uns informierte, dass der Lukamierpass wegen eines Felssturzes gesperrt ist. Das wäre unsere Route gewesen. Die Information missfiel mir in Design und Inhalt. Klar war nur eines: Endlich Improvisation. War ja bisher viel zu glatt gerollt. Darf man wörtlich nehmen.

Also Plan B: Gotthard hoch – und die legendäre Tremola runter. Großartiger Plan mit zwei winzigen Umzulänglichkeiten. Erstens die doofe Tessinstraße ab Airolo, zweitens die grauen Wolken, aus ebendieser Richtung. Egal. Das Hospiz auf der Passhöhe erreichten wir, als wären wir durch den Gotthardsee geschwommen. Hospiz ja eine andere Bedeutung als bei uns. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Wir leben. Sogar sehr gut. Sonderservice auf den letzten Kilometern vor der Passhöhe. Von oben ein kompletter Waschgang. Von unten fürsorgliche Massage von Kopfsteinpflaster. Für die Abfahrt zogen wir alles an, was wir dabei hatten. Übereinander. Nach Süden zu fahren hat einen riesigen Vorteil. Das Wetter ist es nicht. Es ist die Straße. Man kann die Tremola runter fahren.

Die alte Kopfsteinpflaster-Straße auf der Südseite ist das Alpe d‘Huez der Schweiz. Die Tremola führt von Airolo hoch, überwindet mit 24 Spitzkehren 932 Höhenmeter auf fast 13 Kilometern. Die Straße wurde im zeitigen 19. Jahrhundert angelegt, dort wo der Saumpfand hinaufführte. Am heutigen Zustand des Pavé soll sich bitte jeder Straßenbauer-Azubi der Welt ein Beispiel nehmen. Auch wenn er in seiner Karriere nicht dazu kommt, an einem Weltkulturerbe rumzubasteln. Wie sich das zusammenfügt, das Kopfsteinpflaster! Etwa so wie die Fügung, dass wir beiden Supernasen uns weiterhin auf den Spuren Ferdi Küblers bewegen.

Der große Ferdi macht auf der Tremola das erste Mal von sich reden. Im Jahr 1947 auf einer 200 km langen Etappe von Bellinzona nach Sitten. Trotz Gotthard und Furka trat der „fou pédalant“ gleich am Start an. Den schrägen Vogel holen wir bequem ein, dachten sich die Favoriten Coppi und Bartali. Im Radsport ist das ja normal, dass ein paar hoffnungslose Außenseiter am Start was probieren. Aber Kübler rettete seine Soloflucht mit 3:44 Minuten Vorsprung ins Ziel. Eine nüchterne Beschreibung seines Triumphes hat die Neue Züricher Zeitung damals geliefert: „Es muss einer ein ganzer Mann sein, wenn er diese Prüfung auf die Kraft und Geschmeidigkeit der Muskeln, auf die Gesundheit der inneren Organe und auf die Widerstandskraft der Nerven erfolgreich bestehen will.“

Radsport ist ja einzigartig. In keiner anderen Sportart kannst du an die Originalschauplätze fahren, um das selbst zu spüren, was die Helden gespürt haben müssen. Du kannst ja nicht auf den Heiligen Rasen von Wimbledon. Außerdem fehlt dir John McEnroe. Du kannst Dich vielleicht ins Neckarstadion hineinschleichen. Aber dann fehlt dir die Volleyflanke von Günter Schäfer, um dich an einem Klinsmann-Fallrückzieher zu versuchen. Aber im Radsport kannst du das: Du kannst an die Tremola und treten wie einst Ferdi Kübler. Zugegeben, wir waren in der falschen Richtung unterwegs, Aber hoch gehts auch von der anderen Seite. Runde 1.700 Höhenmeter hatten wir in den Beinen. Also fühlten wir uns ungefähr würdig, Küblers Parforceritt nachzuspüren. Der Himmel pflichtete uns bei, gewährte eine Regenpause und ließ uns einige feine Serpentinenbilder vom Alpenroubaix aufnehmen. Auch als Hommage an den Fou Pédalant. Danke vielmals.

Erkenntnis des Tages: Die Strecke von Airolo nach Biasca, das Tessin runter, war genau so, wie man annehmen durfte. Häßlichnasstrostlos. Tessin klingt ja wundervoll. Rein lautmalerisch. Aber die vielen Hauptverkehrstäler, die man kaum umfahren kann, sind nicht unbedingt herzerwärmend. Die familiäre Café/Kneipe in Lavorgo, in die wir uns gewitterhalber stürzten, werden wir nie vergessen. War das Ende der Welt als Gewitter vor der Tür, oder als Wirtschaft dahinter? Ist das noch ein Gastbetrieb oder eine Hospiz, Deutscher Definition? Schwer zu sagen. Fest steht: Michl wird den Mundgeruch der Wirtin in Erinnerung behalten.

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