FDB4EVER - Texter Sautter
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FDB4EVER

Ronde, Etappe 5, Stavelot – Namur, 124 Kilometer, 1.750 Höhenmeter

Der Belgier wird geboren mit einer Kelle in der Hand. Sagt man. Könnte stimmen, denn die Eigentumsquote bei Häusern liegt ungefähr bei 80 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie bei rund 30 Prozent. In Württemberg weiß ich‘s nicht. Weil man in Belgien nicht unbedingt einen Architekten planen lässt, nimmt man eben selbst die Kelle. Kann man währenddessen noch überlegen, wie es aussehen soll. Ein Besuch im Baumarkt und los geht‘s. Was dabei rauskommt, ist auf der Seite UGLY BELGIAN HOUSES dokumentiert. Ein Quell der Freude. Auf fB und Insta. Jetzt aber Überraschung: Gibt viele Wohnhäuser, die echt was her machen. So schrecklich ist das meistens nicht, was hier entsteht. Nur eines fällt auf: Bebauungspläne gibt’s nicht. Auch sowas wie ein Neubaugebiet, wo Exemplare ungefähr im ähnlichen Baujahr entstehen, gibt‘ nicht. Damit ist ein wilder Stilmix vorprogrammiert. Dass viele auf Grenze bauen, und somit eine Wand komplett Wand bleibt, macht’s nicht besser. Rein architektonisch eine Wundertüte. Mein persönlich Höhepunkt heute war ein winziges Häuschen auf einer Einfallstraße nach Huy. Schmalhans Baumeister. Geht doch. Ich freu mich deshalb, weil ich auch nicht viel breiter gebaut habe. Aber vor lauter Architektur darfst du das Radfahren nicht vergessen. Spazieren schauen ist gefährlich, der Belag, die kleinen Rillen, Split auf der Straße. Und dann natürlich die Berge. Da kann ich vom Tempo her zwar gut Häuser schauen. Aber das Hirn wird von den Beinen vollständig absorbiert. Berg hoch bitte Konzentration aufs Wesentliche, sonst kommst du nirgends an.

Nicht jeder klassische Radsportberg ist schön. Der bekannteste Anstieg von Lüttich – Bastogne – Lüttich klettert im Mittelteil an einer Autobahn vorbei. Der Feldweg heißt Côte de la Redoute. Remco Evenepoel hat den Klassiker in diesem Frühjahr gewonnen. An der Redoute war er ausgerissen, rund 35 Kilometer vor Lüttich. Letzten Sonntag ist Evenepoel Weltmeister geworden. Remco ist einer der Namen, den die Fans auf die steilsten Stellen gepinselt haben. Drunter steht, fast größer, der Schriftzug VDB4EVER.

Mit VDB ist Frank Vandenbroucke gemeint. Einer vielen, den man in Belgien als Nachfolger von Eddy Merckx ausgerufen hatte. Unter allen, die an Merckx gemessen wurden, hat es Vandenbroucke am wenigsten vertragen. VDB war der belgische Pantani. Die Belgier behaupten Pantani war der italienische Vandenbroucke. Früh gestorben sind sie beide. Pantani früher. Vandenbroucke im Jahr 2009 mit 34 Jahren. Einer seiner größten Siege war eben Lüttich – Bastogne -Lüttich des Jahres 1999. Einmal bei der Vuelta soll er gewonnen haben, obwohl er um 5 morgens mit Chicas aus der Bar torgelte. Wenn‘s stimmt, kann sich jeder selbst zusammenreimen, welcher Drogen- und Dopingcocktail am Start war.

VDB beweist: Legendär kannst du auch werden, wenn du Storys lieferst. Egal welche. Erstrebenswert ist das eher weniger. VDB war schwierig, zickig, unberechenbar. Trotz Talents ist er mehr als einmal aus einem Rennstall rausgeflogen. Er hat auch diejenigen enttäuscht, die es gut mit ihm meinten. Mehr als einmal war er wegen Doping gesperrt. In seiner Biografie beschreibt er diejenigen im Peloton, die die neusten Dopingmittel ausprobieren, als Pioniere. Ironiefrei. So war Vandenbrocke. Gern mal eine Geschichte. Gern mal eine zu viel. „Traurigerweise ist sein Tod nur zum Teil eine Überraschung, denn wir wussten, ihm geht es nicht gut“, sagte sein Onkel Jean-Luc Vandenbroucke, selbst Radprofi in den Siebzigern und Achtzigern. Gestorben ist VDB im Senegal, wo er im Urlaub war. Das wiederum inspirierte Dimitri Verhulst, einen flämischen Schriftsteller. „Monolog einer Frau, die in die Gewohnheit verfiel, mit sich selbst zu reden.“ ist eine fast frei erfundene Vermutung, wie VDB gestorben sein könnte. Kleines Buch, liest sich flott weg, mit enormem Gewinn. Meine Empfehlung.

Ob man die letzten sechs Berge von Lüttich – Bastogne – Lüttich nachfahren muss, bleibt Geschmackssache. Halt so ein Nerd-Ding. Aber bitte, dem Wetter hat‘s gefallen. An der Côte de Desnié hat das erste Mal die Sonne rausgeschaut, eigentlich das erste Mal, seit ich auf den Fildern los bin. An der Redoute hatte ich schönes Licht, an der Côte des Forges war schon alles durchgeschwitzt. Die Berge sind keine Riesen, aber die haben samt und sonders giftige Prozente drin. Also kräftig von oben nach unten. Den Kampf mit der Ästhetik hatte ich schon am ersten Berg des Tages abgeschenkt.

Erkenntnisse des Tages: Die Stuttgarter Kickers sind international gar nicht so unbekannt, wie man meinen könnte. Passiert mir jetzt schon das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass ich auf Reisen auf die Kickers angesprochen werde. Diesmal vom Chef des Radsport-Café MUR – Coffee & Cycling. Er ist selbst Gladbach-Fan und wenn’s um Belgien geht, supported er RFC Lüttich. Feinschmecker. Der RFC, nicht zu verwechseln mit Standard, war der erste belgische Meister überhaupt. Heute dritte Division. Also mit deutlichem Kickers-Faktor.

Verspätete Erkenntnis des Tages: Manche Randsteine sind höher als andere. Und wenn du gerade die Mur de Huy in den Beinen hast, ziehst du besser kräftiger am Lenker, wenn der Randstein vor dem Café hoch ist. Übrigens ne gute Methode, um mit vielen Leuten ins Gespräch zu kommen.

Huy
Côte de la Redoute
Tihange
Meuse