Echte Körper on Tour - Texter Sautter
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Echte Körper on Tour

Bergerfahrung, Etappe 1, Stuttgart – Steinhausen, 138 km, ca. 1.700 Höhenmeter

Jetzt geht das wieder los. Bei diesen Radtouren bekomm ich immer Influenza. Social Mitteilungsbedürfnis. Das Netz besteht eh zu 99 Prozent aus Blödsinn. Da fallen wir Expresso-Boyz mit dem Tagebuch auch nicht auf. Mit mir strampelt formidable Dieselmotor Michl Luz gegen das fortschreitende Alter an. So spritzig wie er zeichnet, fährt er ja nicht. Aber Ausdauer. Reschbeggt. Alte Schule, der feine Herr. Was seinen Stil mit seinen Werken verbindet ist eher bunten Style seiner Lycra-Wäsche. Könnte Wetten, dass man heute vom Mars erkannt hat, wie sich ein bunter Leuchtpunkt über die Schwäbische Alb nach Oberschwaben geschlängelt hat.

Espresso-Boyz auch sonst mega vorbereitet. Als ich vorgestern meinem Nachbarn am Zaum von der Tour erzählt habe, sagte der nur „Rote-Beete-Saft“. Wegen der roten Blutkörperchen. Also gut. Trotz meiner Erinnerung. Hatte mal einen Gemüsesaft-Kunden, der im großen Stil diese merkwürdigen Säfte vertrieben hatte. Da musst du als guter Werber nach jeder Verkostung von flüssiger Roter Beete auch noch anerkennend lächeln und entsprechende Hymnen singen. Außer Roter Beete hatte der Kunde auch Karotten im Sortiment. Sagen wir so: Aus kulinarischen Gründen waren die Businesstermin durchaus abenteuerlich. Danach allerdings viele orange Blutkörperchen in meinen Texten, rote auch. Also vorgestern diesen Saft geext. Zwei Gläser. Hoffentlich fahr ich nicht in eine Dopingkontrolle. Michl viel gründlicher vorbereitet. Der fährt jetzt Pinarello. Fachbegriff: Zahnarzt-Rennrad. Nobelmarke. In ganz speziellem Rot. Natürlich voller Rot-Ton. Also einziger Farbton, den er in seiner Lycra-Kollektion nicht hat. Mit Liebe ausgesucht in der Fahrrad-Apotheke in unserer Region. Dazu noch 20 Euro für neues Rücklicht ausgegeben. Tut aber nicht. Wie jedes andere Fahrradrücklicht auch nicht. Ich hab inzwischen ne Sammlung von zehn kabudden Rücklichtern. Gibt ja so Sachen, da kannst du kaufen, welches Modell du willst, egal von welcher Marke. Geht kabudd. Auf der Stelle. Kann auch die Rad-Apotheke bei Pinarello-Kunden nicht besser. Aber beim Michl Rücklicht egal. Seine ganze Maschine praktisch ein einziges Rücklicht. Leuchtet bis Mars. Der Michl ist schon ein Fuchs. Mit ausgefuchsten Kumpelz.

Erstes Highlight heute: Nürtingen. Gleich Fototermin am Plakat „Echte Körper on Tour“. In meinem Fall nur 99 Prozent echt. Aber Titan-Hüfte zählt nicht. Die ist ja auch ungeschickt, gewichtstechnisch. Als wir darüber gesprochen haben, meinte der Michl, dass er seine Amalgam-Füllungen rausgemacht hat. Tipp vom Kumpel, der ist nicht nur passionierter Radler, sondern auch noch Zahnärtzinnengatte. Wie früher Blend-a-med-Werbung. Nur andersrum. Bin mir aber nicht sicher, ob der Michl nur geflunkert hat.

Erster Expresso Grabenstetten. Dazu Tomato-Mozarello-Weck mit Mayo. Bis Italien sind‘s noch ein paar Meter. Zweiter Expresso duplo nach den Maultaschen in Gundelfingen. 1A Brühe übrigens. Kaum noch flüssig, da hast du die Brühe fast abbeißen müssen, so gut war die. Bauernhofeis in Indelfingen obendrauf. Ganz prima. Sonne wie kaum an einem Tag in diesem Jahr. Rückenwind. Rote Blutkörperchen bei der Arbeit. Auf der Etappe gab‘s mal überhaupt nix zu bruddeln. Aber auch gar nichts. Da hat sogar der Diesel hörbar geschnurrt.

Zur Feier der Tages noch den heiligen Berg der Schwaben erklommen. Der Bussen. Von da oben siehst du die halbe Welt. Alb, Alpen, Federsee, also halbe Welt mindestens. Gibt ja so viele Sagen und Legenden um diesen Berg. Liebe, Fruchtbarkeit, Tod, Viecher, Gottweißwas soll da passiert sein., wenn du nicht gottesfürchtig bist. Sind wir aber. Wir beiden Bussenkindle aber ganz im Hier und Jetzt. Lammfromm in die Bussenkappelle rein. Draußen die Rädle zusammengestellt. Mein Orbea-Renner wollte doch auch mal einen Zahnarzt. Aber von wegen. Kein drittes Bussenrädle als wir aus der Kapelle traten. Wahrscheinlich schon zu viele Kratzer am Orbea.

Etappenziel Steinhausen. Endlich mal ein Dorf, in dem die Welt noch in Ordnung ist. Da ist die Kirche noch viermal so hoch, wie das höchste Haus. Ziemlich prunkvolles Teil. Aber jetzt kein Vortrag über Barockkirchen, eher schauen, dass die echten Körper wieder barocker werden. Merke: Große Kirche braucht auch gute Wirtschaft gegenüber. Irgendwo mussten die Leute ja hin nach absolvierter Frömmigkeit. Einmal Karte bitte rauf und runter, nur ohne Mayo, gell.

Erkenntnis des Tages: Fast alle älteren E-Biker pfeifen. Nicht aus den letzten Löchern, nein. Sie pfeifen. Irgendeine Melodie, immer. Immer. Also immer, wenn sie an mir vorbei fahren. Gibt‘s da ein Buch mit den beliebtesten Melodeien zum Pfeifen, wenn du Ü 50 ein E-Bike kaufst? Als Zugabe? Oder pfeift das Bike und die Herren spitzen nur den Mund. Hören die auf, wenn die an mir vorbei gefahren sind? Oder dient das der allgemeinen Verkehrssicherheit? Pfeifen die auch, wenn sie spazieren gehen. Sind das eventuell genau die Herren, die ihren Hut auf der Heckablage ihres Autos festgeklebt haben? Die Welt ist voller drängender Fragen. Hoffentlich werden sie zügig geklärt. Die E-Bike-Pfeifer sind wie wir – auch nicht mehr die Jüngsten.

Bei Mehrstetten
Gundelfingen
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Steinhausen