Der schöne Hugo - Texter Sautter
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Der schöne Hugo

Spritztour (Etappe 6) Biasca – Osteno am Luganer See

Zur italienischen Essenszeit plumpsten wir in Michls Stammrestaurant am östlichen Ende des Lago di Lugano. Das ist der höhere Grund des Radfahrens. Du kannst futtern, was das Zeug hält. Problematisch wird’s nur, wenn du nicht mehr Rad fährst und aus Gewohnheit weiter futterst. Bei den großen Rundfahrten müssen die Radprofis mampfen wie die Bekloppten. Nur nicht am Ruhetag. Da kriegen sie kaum was. Jens Voigt bezeichnete das neulich als größte Zumutung jeder Rundfahrt. Kann uns nicht passieren. Als ich das Restaurant verließ, hätte mich keiner von der Seite aufnehmen dürfen. Im Lycra sieht auch ne kleine Wampe selten lächerlich aus. Gekämmt waren wir auch nicht, kannste ja nicht mehr machen heutzutage. Mit Helm.

Womit ich wieder bei Hugo Koblet wäre, dem Pedaleur du Charme. Der Spitzname stammt übrigens vom französischen Chansonier Jacques Trello. Der Toursieger von 1951 war nicht nur ein Ästhet auf dem Rad, er liebte auch Jazz, Kunst und Literatur. Koblet sprengte den Rahmen des Radsports. Er war ein Star, und wäre ein noch größerer geworden, wenn er nicht bei der Tour de Suisse 1952 eine Fitmacherspritze bekommen hätte, die einen bleibenden Schaden am Herz hinterlassen hat. Doch Koblet brauchte keine großen Siege. Die Reporter kommen auch so vorbei, um eine Homestory zu machen. Bis 1958 bleibt er im Sattel, erringt kleine Siege, hilft im Team und festigt seinen Status als Legende des Sports. Wer in der Schweiz was auf sich hielt, drückte ihm die Daumen. 2014 wurde in der Schweiz eine historische Doku über ihn gedreht.

Früher Tod hilft natürlich auch, wenn du es als Star darauf anlegst, unsterblich zu bleiben. Koblet starb 1964. Der Birnbaum, an dem Koblets Wagen zerschellte, war der einzige auf der ganzen Landstraße. Der Star hatte kein besonders gutes Verhältnis zu Geld. Seine Tankstellen schrieben rote Zahlen. Der schöne Hugo bettelte bei Freunden um Kredite. Daniel Sprecher, der Jahrzehnte später eine Koblet Biografie vorlegt, notiert: „Koblet war unfähig und unwillig zugleich, die lange Jahre überreichen Einkünfte mit Vernunft zu verwalten und zu vermehren.“ Seine Frau wollte dich scheiden lassen. Einen Tag vor dem Scheidungstermin donnert sein Wagen mit ihm am Steuer am Baum. Ohne jede Bremsspur.

An einem Tag an dem Du durchs Tessin radelst, bleibt natürlich viel Zeit, den großen Koblet in Erinnerung zu rufen. Über die Route hängen wir den Mantel des Schweigens. Irgendwo muss die Industrie ja auch hin, und die Fernverkehrsstraßen auch. Fizinalstraßen gibt es, aber sie führen samt und sonders die Berge hoch in die Sackgassen. Wir treten uns entlang der breiten Staatsstraße von Bellinzona nach Lugano. Das Beste, was man über diesen Pass namens Monte Ceneri sagen kann, ist dass Sog der donnernden Brummis, kurz zwei leichte Tritte verursacht. Wo ist der Mantel? Genau.

Traumschön gehts dann am Luganer See entlang. Der Wind schiebt, die Sonne steht. Nach der Visite im Restaurant plumpsen wir direkt in den Apfelkuchen, den Michls vortrefflicher Nachbar Kurt bereitet hatte. So ein Atelier Süd, wie es Michl in Osteno hat, zählt nicht unbedingt zu den unverhandelbaren Grundrechten, ist aber eine feine Sache. Zumal mit Nachbarn, die einen sagenhaften Apfelkuchen beherrschen.

Erkenntnis des Tages: Ankommen ist auch schön. Morgen gehts weiter.

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