02 Jun Idyllitsch
Kaffeefahrt, Etappe 2, Untergreuth – Bovec, 74 km, 1.900 Höhenmeter.
Es ist Krieg. Vor einem Jahr hätte ich den Panzer, der oben auf dem Wurzenpass steht fotografiert. Heute keine Lust auf Panzerfoto. Seit letztem Jahr bin ich mit Friedensengel-Bebber unterwegs. Horst Schäfer vom Friedensfahrtmuseum in Kleinmühlingen hat ihn persönlich auf den Rahmen geklebt. Schöne Erinnerungen. Wer hätte damals gedacht, dass Krieg so kacke aktuell wird? Nur wenige. Wenn Du Pässe fährst, liegen die Kriege des vergangenen Jahrhunderts häufig unter deinen Reifen. Pässe stehen vorwiegend aus zwei Gründen in den Geschichtsbüchern. Erstens als Handelswege. Zweitens als Kriegsgebiet. Wurzen und Vrsic standen heute auf der Speisekarte. Beide eher zweitens. Am Wurzen sind original Bunkeranlagen erhalten. Bunkermuseum steht auf den Schildern… sorry… Bunkertafeln muss es auf österreichisch heißen. Auf der Passhöhe steht eben dieser Blechhaufen aus dem ersten Weltkrieg. Am Vrsic, der Kranjska Gora mit dem Soca-Tal verbindet, steht eine russische Kapelle.
Vom Vrsic sind wir total geflashed. Was ein Pass! Idyllitsch. Fantastitsch. Bombastitsch. (Bitte in Landessprache aussprechen, gell) Die 26 Kehren aus Kopfsteinpflaster: Radlers reines Glück. Und warum gibt’s diesen Pass? Nun, Wegen zweitens. Die Österreicher ließen russische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg die Straße bauen. Nicht wenige Russen sind dabei gestorben. Auf halber Höhe steht eine russische Kapelle im Gedenken an die toten Erbauer des Vrsic. An den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Fertigstellung nahm Putin persönlich teil. Ich schreib das auf, weil es eben die Geschichte des Vrsic ist. Und ja, es ist verstörend, dass wir heute bei schönstem Wetter den slowenischen Vorzeigepass hinaufschnaufen. Einfach so.
Andererseits ist der Pass ein Großmeister der Ablenkung. Die Landschaft. Atemberaubend im doppelten Sinn. Wegen der Ausblicke. Wegen der Rampen. Die folgende Kaffeefahrt-Pässe werden es schwer haben, den Vrsic zu toppen. Sogar die Tour de France hat sich ein Detail vom Vrsic abgeschnitten: die Nummer mit den Kehren. In den Siebzigern hat man die Spitzkehren am klassischen Aufstieg nach Alpe d‘Huez durchnummeriert. Ein Tourdirektor hat die Schilder (außerösterreichische Formulierung) anbringen lassen. Direkt nach einer Reise in die julischen Alpen. Nach dem Vorbild des Vrsic. Man ist förmlich dankbar, wenn der Pass auch Geschichten bietet, die nichts mit Krieg zu tun haben.
Bovec im Soca-Tal erreichen wir schon gegen Drei nachmittags. Weil wir früh los sind. Und weil Michl, der alte Wetterfrosch, eine Gewitterfront auf der Karte entdeckte. So kann’s weitergehen. Die Natur braucht das Wasser, aber bitte erst, wenn wir am Ziel sind. Danke. Und irgendwie passt das auch. Meine Eltern gaben mir heute ein weiteres Merkmal durch, das ich ab sofort in meine Stammdaten übernehme. Zeugungswetter: Regen. Was bestätigt: Die Experten haben schon recht, wenn sie behaupten, dass man beim Radfahren vieles über sich selbst lernt.
Erkenntnis des Tages: Unsere Kaffeefahrt ist wie ein durchschnittlicher Saisonauftakt eines durchschnittlichen Fußballteams. „Erster Pass gleich Scheisse“. Passiert ja oft als Fan. Du glaubst ja ständig, in der neuen Saison wird alles besser. Du gehst voller Hoffnung ins Stadion. Und was passiert? Genau. Erster Pass, … So auch bei uns, nur eben Radsport, falls man das so nennen darf. Wer von uns beiden gedacht hatte, unsere Tour wird wirklich eine Kaffeefahrt, sah sich an der 18-Prozent-Rampe des Wurzenpasses schiebend neben seinem Rad herlaufen. Wir deuten das zügig um als einen Beweis fortgeschrittener Weisheit des Alters. Wir fahren auf Ankommen. Oder wie Michl es formulierte: auf Gesamtwertung.