Grappa zum Frühstück - Texter Sautter
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Grappa zum Frühstück

Kaffeefahrt, Etappe 6, Feltre – Lusiana 75 km, 2.500 Höhenmeter

Sportskamerad Luz wär fast über dem Nachmittagscaffè eingepennt. Kurz bevor der Kopf auf den Tisch plumpste, fuhr ein Ruck durch sämtliche zwei Meter Michl. Das war auch für meinen Kreislauf ein Schocker, der war ja auch im Eimer. Aber komplett. Hallo wach? Von mir aus, wieder rauf aufs Rad. Befehl des Sportskameraden. Mein Körper hat erst eine Viertelstunde hinter Bassano del Grappa eingesehen, dass ihm nicht anderes übrig blieb, als brav weiter zu strampeln. So ist das halt „on tour“. Auf den Kreislauf der Pedale kommt’s an. Was willst du auch in der Mittagssonne sonst machen, wenn es Grappa zum Frühstück gab. Monte Grappa.

Monotonie. Dachte ich am Morgen. Monoton würde es werden, dieser Aufstieg auf den italienischen Legendenberg, von dem du an guten Morgenstunden über Venedig hinweg bis nach Istrien siehst. Aber von wegen Monotonie. Du musst dich aufs Treten konzentrieren. Ruhig Brauner. Auf Haltung achten, runder Tritt, nicht zu schnell bitte, der Berg ist lang. Aber die erste Rampe hilft dir dabei, das richtige Tempo einzustellen. 12 Prozent Grappa reicht völlig, wenn der Berg gemeint ist. Gut, dass es über weite Strecken nachlässt. Einstellige Prozentwerte. Aber halt tutti 28 km bergauf. Nennen wir es versammelten Trab. Gaaanz langsam die steilen Passagen, also so langsam, dass du grad nicht vom Rad fällst. Und nicht viel gucken bitte, was schwer fällt. Nach dem Gewitter gestern Abend erkennst du jede Kuh der südlichen Dolomiten, gestochen scharf. Was eine Aussicht! Und plötzlich siehst du rum um den Berg. Italien liegt unter Dir. Du bist King, mit der kleinen Einschränkung, dass du Dein Pferd selbst nach oben kurbeln darfst. Sowas nennt man Königsetappe. Von der Nordseite kaum Autos. Vier Motorräder, mehr nicht. Allein mit dem Berg – und dem Bergsport. Ich kann nicht mehr, bin total im Sack, aber es ist wunderbar. Natürlich nicht mehr morgens und Istrien im Blick, als ich am Gipfel bin. Sondern mittags, Norditalien im Blick und Gnocchi mit Formaggio.

Auch schön: Vor lauter Treten fließen die Gedanken langsamer. Jetzt nicht wegen Meditation oder so. Eher wegen Anstrengung. Gedanken kosten ja auch Kraft, und das spart sich der Körper automatisch, zumindest meiner. Du hast ja so viel zu gucken und zu treten und zu gucken und zu treten und zu gucken und zu treten und zu gucken und zu treten… Und wenn Du oben bist, dann nur noch gucken. Atemberaubend ist das richtige Wort. Aber pass auf: Auch auf dem Rad gilt die Bergsteiger-Weisheit: Du hast den Berg nur bezwungen, wenn du wieder unten bist. Bei den 1.500 Höhenmetern Abfahrt brauchst Du alle guten Gedanken, die du haben kannst. Nur zur Sicherheit.

Einschlafen kannst du dann im Café, oder auch nicht, wenn du ein schnuggeliges Übernachtungsquartier gebucht hast, eines mit Super-Aussicht über halb Venetien. Aber halt so hoch gelegen, dass du gefühlt den halben Monte Grappa nochmal hoch musst. Da muss ich schon zugeben: Nach den ersten Rampen ging mir der Sprit aus. Inklusive Reserve. Für meine Geschmack deutlich zu wenig schattig der Straßenverlauf, aber bitte, du kannst jetzt nicht in Italien fahren und dauernd über Sonne meckern. Das wird gern mal mit zwei Wochen England bestraft. Mit Rad. Im Nebel oder schlimmer.

Die Tanke, sag ich mal mit unerheblicher Übertreibung, hat mir das Leben gerettet. Keine Tankenkettentanke, sondern ein MiniCafé mit Zapfsäulen davor. Betrieben von einer guten Seele von Frau, bei der man möglicherweise hätte denken können, dass sie zu aufgetakelt für eine Tanke wäre. Doch wie gesagt: Wir sind nicht in England. Sondern dort, wo Style kein Alter und keine Tanke kennt, und das ist auch gut so und noch besser, wenn der Style einem neben Lemonsoda und Croissant noch eine Schokokugel auf den Tisch legt.

Erkenntnis des Tages: So ein Tag ohne viel Nachdenken – und komplett ohne Erkenntnis. Aber mit Schokokugel. Perfekt! Praktisch Erkenntnis.

Monte Grappa in the making
Dolomiten. Abteilung Süden
Monte Grappa
Monte Grappa
Bassano del Grappa