Mausoleum - Texter Sautter
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Mausoleum

Deutschland-Protokoll (Etappe 8) Coburg – Erlangen, 99 km, 510 Höhenmeter

Was der mir alles erklärt hat, der junge Mann: Die Corona-Regeln, wie die Tür funktioniert, wo ich das Rad hinstellen kann, wo man am besten isst, was man angucken soll in der Stadt. Was der nicht alles wusste. Nett war er schon, aber nicht aufgehört mit Tipps und Wissen. Pausenlos hat er gesprochen. Seither hab ich einen Ohrwurm. Welchen wohl? Und jetzt sag nicht, du kennst das Lied nicht. Beim netten jungen Mann bin ich mir nicht so sicher, ob der das Lied kennt.

Was macht man, um einen Ohrwurm los zu werden? Sich ablenken. Zum Beispiel mit der Feststellung, dass wenn du stirbst, dann krepiert auch der Ohrwurm. Dann lebt nichts mehr, egal wie reich du warst. Unsterblichkeit kannst du dir nicht kaufen. Auch nicht Werner von Seebach (1851 – 1895). Der unverheiratete Werner war der Letzte derer von Seebach. Kein bedeutender Vertreter seiner Sippschaft, darunter Geheimräte, Generalmajore, Maler, Vizeadmiräle, und, und, und. Der gute Werner war nichts davon, eher nur Erbe. Reich war er schon. Pferdesport mochte er. Gegen Ende seines Wirkens wollte er für seinen Tod vorbauen. Im Park seiner Schlossanlage im fränkischen Ziegelsdorf ließ er ein riesiges Mausoleum bauen. Der Gothaer Rennverein sollte sich drum kümmern, so war es in Werners Testament festgehalten. Der Pferdesportverein erbte von Werner eine stattliche Summe. 450.000 Mark, damals ein riesiges Vermögen. Wie befohlen richtete der Verein jährlich ein Jagdrennen davon aus. Und die Mausoleumspflege sollte auch bestellt werden.

Werner starb 1895. Zwei Jahre später wurde sein Leichnam umgebettet ins Mausoleum. Der Rennverein kümmerte sich. Aber nach der Inflation von 1923 war das Vermögen weg, und der Rennverein auch. Der einstige Park verwildert. Das Mausoleum steht noch, aber drum herum ist Dschungel. Alles verlassen und verfallen. Einsam im Wald bei Ziegelsdorf. Natürlich sollte man das Bauwerk vorm kompletten Verfall retten, aber wer? Die Eigentumsverhältnisse sind ungeklärt. Selbst wenn die Behörde was tun würde, wer kümmert sich dann in der Folge? Einstweilen hat man ein paar Zufahrtsfeldwege als „Privat“ gesperrt und Verbotsschilder angehängt. Wer der „Privat“ sein soll, wissen selbst diejenigen nicht, die die Schilder angebracht haben. Ich stehe in der Halle, vor dem Sarkophag, in dem Werners Überreste drin sind. Vielleicht war er ein Zocker, dann wäre er mir eventuell sympathisch, schließlich hätte er so gespielt, dass noch was übrig war. Das würde dann meinen Respekt verdienen. Vielleicht war er aber ein so arroganter Pinsel , dass es ihm recht und billig erschien, ein Mausoleum zu beziehen. Warum? Weil er es kann. Vielleicht wußte Werner nur nicht, wohin mit der Asche. Man weiß es nicht. Heute wüßte man nicht, wohin mit Werner, falls man tatsächlich die Restaurierungsfrage klären könnte.

Für die Wache hat Werner selbst gesorgt. Unabsichtlich. Der Luftraum um das Mausoleum wird kontrolliert von hunderttausend Stechfliegern, die sich in den verwilderten Parkseen pudelwohl fühlen und Werners Totenruhe sicher stellen. Meine Hiddenplaces- Neugier juckt mich einige Kilometer. Aber bitte: Wer über mich urteilt, sollte folgendes bedenken. Vielleicht handelte ich sogar in Werners Sinn. Hätte er unauffällig bleiben wollen, hätte er sich auf einem stinknormalen Friedhof zur letzten Ruhe hinlegen können. Aber er wollte partout ein Mausoleum. Da darf ich ihm doch bitteschön meine Aufwartung machen, damit er nicht gänzlich in Vergessenheit gerät, oder?

Rein radlerisch gesehen, war heute übrigens Absoluter Bad-Legs-Monday. Heute wär ich im Gothaer Jagdrennen mit Rundenrückstand ins Ziel gekommen, wenn überhaupt. Dabei war die Etappe genau mein Profil. Also komplett flach. Aber ich habe Hoffnung. Solange der Ohrwurm lebt, geht‘s weiter, immer weiter.

Erkenntnis des Tages: Eine Fähre, die nur mit der Kraft des fließenden Wassers betrieben wird, nennt man Gierfähre. Wie das funktioniert hab ich gesehen. Was eine süße Feldwegsfähre. Natürlich habe ich verstanden, warum das ohne Motor funktioniert. Selbstverständlich. Gar kein Zweifel. Daher kann ich sagen: Das hat unbedingt mit Physik zu tun. Ich hoffe, dass die Gierfähre in der nächsten Klassenarbeit nicht abgefragt wird. Der Fährmann ist unbedingt zu Höherem berufen. Wortkarg, mürrisch, unfreundlich… so muss ein Fährmann in Deutschland sein. Ich glaub ja, die sind alle so mürrisch, weil sie von Chris de Burgh besungen werden. Das würde mir auch stinken. Es gibt übrigens bessere Ohrwürmer. Komm mir jetzt bloß nicht mit Chris de Burgh. Viiiiel Besser.

Bamberg
Fähre Pettstadt
Mausoleum Ziegelsdorf
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