17 Jul Glückliche Dänen
Deutschland-Protokoll (Prolog) Flensburg – Glücksburg 14 km
Jetzt geht das wieder los. Während Landstriche versinken, liefern sich schwerelose Milliardäre ein Wettrennen im All. Die globalen Superbonzen wissen nicht mehr wohin mit dem Geld. Und die heute Nachrichten berichten mehrere Minuten zur besten Sendezeit vom Hobby der Bodenlosen. Weltraumtourismus brauchen wir ja schon. „Oben bleiben“, sagt man dort, wo ich lebe, wenn man sich für sinnvollen Fortschritt engagiert. Oben bleiben in diesem Fall bei Wasser und Weltraumnahrung. Über mein Vordringen in andere Sphären berichtet dagegen niemand. Alles muss man selber machen. Ich bin in den hohen Norden angekommen, mit der Deutschen Bundesbahn. Folgerichtig hocke ich gerade in Südschleswig. Vielleicht ist die Erde doch ne Scheibe und die Himmelsrichtungen werden gewürfelt. Südschleswig. Süd also, schon klar. Mein verwegenes Abenteuer könnte sogar waghalsig werden. Ich will Deutschland erfahren. Riskanter Plan. Aber wann, wenn nicht jetzt. Schwerelos ist da natürlich nichts. Zumal ich mit dem Rad unterwegs bin.
Glücksburg heißt die nördlichste Stadt unseres Landes. Liegt in Südschleswig. Nordschleswig liegt dagegen schon in Süddänemark. Logisch. Hier soll er also sein, der mythische südschleswigsche Wählerverband (SSW). Dieser Zusammenschluss vertritt die vermutlich zweitglücklichste Minderheit Deutschlands. Hinter den Deutschen Milliardären. Im Landesparlament braucht die Winzigpartei keine Fünfprozenthürde. Gut gelaufen für den Wählerverband. So kommt die Minderheit wenigstens einmal in fünf Jahren ins Fernsehen. Damit man die Splitterdänen nicht vergisst. Glücklich sind die deutschen Dänen schon deshalb, weil man ihnen das Minderheitssein nicht ansieht. Arg schlimm diskriminiert werden sie nicht mehr. Speckdänen hat man manche geschimpft früher. Früher war nicht alles besser. Wozu man dreieinhalb Dänen heute noch im schleswig-holsteinischen Parlament braucht, hab ich nicht rausgefunden. Damals war es sinnvoll, damit bei der Festlegung des Grenzverlaufs die ausgeschlossenen Dänen nicht rebellierten. Und heute? Dänisch sein allein ist noch kein politisches Programm. Aber ich bin erst einen Abend hier. In Glücksburg (dän: Lyksborg)
Andere Minderheiten bräuchten dringender eine eigene Vertretung im Parlament. Und so kommt es, dass nach einer Reform der Wahlordnung im Jahr 2000 der SSW unverhofften Zulauf erhielt. Dank Einführung der Zweitstimme, konnte man plötzlich nicht nur in Schleswig sondern auch in Holstein den SSW wählen. Da leben aber kaum Deutschdänen. Trotzdem kassierte der SSW plötzlich 45 Prozent mehr Stimmen. Dort wo keine Dänen leben hatte der SSW von 0 auf 4 Prozent Stimmenanteil. Praktisch so stark wie die FDP. Nur sympathischer. Irgendwas haben die wohl an sich, die beliebten Halbfinal-Dänen.
Ich könnte Deutschdänen fragen, aber ich weiß nicht, wie man sie erkennen soll. Am Aussehen sicher nicht. Und an der Sprache auch nicht. Nicht mal der SSW spricht auf seiner eigenen Versammlung mehr dänisch. Damit der süddänische Einfluss gut bei mir ankommt, schau ich ganz tief ins Flens. Soll auch bei der Schwerelosigkeit helfen, dieses süddänische Zeugs.
Erkenntnis des Tages: Vorhin sah ich einige Stände mit sogenanntem Kunsthandwerk. Damit ist das rostige Zeugs gemeint, das man sich in Vorgarten stecken soll. Auch diese Branche ist längst in Hand der Großmogule. Ich wette, dass ich vor einem Jahr in Kressbronn am Bodenseeufer dieselbe Kollektion gesehen habe. Ist ja schön, dass vor dem Kunsthandwerk in In diesem Land kein Gefälle besteht. Deutschland, einig Kunsthandwerk.