Disconebel - Texter Sautter
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Disconebel

Disconebel

Kaffeefahrt, Etappe 12, Schilpario – San Pellegrino Terme, 92 km , 1.720 Höhenmeter.

Bissle Fantasie und etwas Einbildung. Und schon schnüren wir durch Disconebel. Die Straßen dampfen tatsächlich. Nach dem Regenguss zündet die Sonne den Asphalt an. Wasserdampf steigt auf. Der Disconebel ist mehr als angebracht. Wir sind auf den letzten Metern der vorletzten Etappe. Quer durch die feinen Bergamasker Alpen. Zwei Pässe liegen hinter uns. Gleich nach dem Frühstück der knackige Passo de Presolano. Das 14-Prozent-Schild kündigte vorbildlich und mit gefühlter Exaktheit die Steigung an. Nach der Rampe denkst du ja, du hättest es hinter dir. Das Problem bestand in der Druckauflage der Schilder. Auflage 4 – und jedes Schild hatte seine Berechtigung. Mal ehrlich, ich kann mich nicht erinnern, morgen um halbzehn so durchgeschwitzt gewesen zu sein. Auf den Passo Di Zambla kletterten wir, als die Sonne senkrecht stand. Sagen wir so: Wasser war wichtig heute.

Als der Disconebel aufsteigt, sind es noch ein paar Kurven bis San Pellegrino Terme. Thementag Wasser. Der Kurort wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von einem Mailänder Rechtsanwalt entwickelt. Thermalquellen wurde gefasst, Heilbäder gebaut, Casino und riesiges Grand Hotel hochgezogen. Strom, fließend Wasser und Telefon auf jedem der 130 Zimmer. Alles vom Feinsten. Ach ja, und abgefülltes Mineralwasser gab‘s auch. Der Plan des Rechtsanwalts Cesare Mazzoni ging auf. Der europäische Hochadel und die übrige Grandezza fluteten San Pellegrino. Als Mazzoni in den Neunzehnzwanzigern starb, ging‘s schon wieder bergab. Das Casino wurde verboten. Nach dem zweiten Weltkrieg war San Pellegrino mehr Schatten als Kur. Das Grand Hotel hatte mehr Pächterwechsel als Gäste. 1979 macht es die Läden dicht. Seit 2006 kümmert sich ein rühriger Bürgermeister um die Wiederherstellung der mondänen Alleinstellung. Mit einigem Erfolg. Langsam macht der Ort wieder was her. Noch nicht wirklich Monte Carlo, doch langsam kann sich San Pellegrino wieder sehen lassen. Nur das riesige Grand Hotel auf der anderen Seite des Flusses schnarcht hörbar.

Ein würdiger letzter Etappenort für die feinen Herren. Viele Gemeinsamkeiten. Wir hatten auch schon bessere Zeiten, schnarchen beide hörbar und zu Monte Carlo reicht’s auch nicht. Außerdem verbindet uns die Geschichte mit dem Radsport. Ende Fünfziger gab‘s ein erfolgreiches Radsportteam, das vom hiesigen Mineralwasser gesponsert wurde. Orange Trikots wie wir beide. Großer Schriftzug San Pellegrino. Team-Chef: Die große Ikone Gino Bartali. Der, der sich mit Fausto Coppi duellierte, als er noch aktiv war. Bartali war bis kurz vor vierzig noch erfolgreich. Man sagte ihm nach, er sei sogar gegen den Sonnenuntergang immun. Der große Bartali war der ideale Mann für San Pellegrino. Katholisch, tugendhaft, überall geachtet, auch für seine Verdienste gegen den Faschismus. Allein seine Person half, das damals schon allgegenwärtige Doping-Thema nicht in den Vordergrund treten zu lassen. Für‘s Mineralwasser war das wichtig. Das Unternehmen hatte ein Problem. Die aufstrebenden Scattolin-Brüder aus Venedig hatten ebenfalls begonnen, Wasser abzufüllen. Das Wasser war allem Anschein nach sehr sauber. Es war billig, und wurde energisch dafür geworben. Es wurde San Benedetto getauft. Die schamlose Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen. Der damalige Manager von San Pellegrino bekam Kopfschmerzen. Er musste die Sichtbarkeit schnell und drastisch erhöhen und die Italiener davon überzeugen, dass sein Wasser das Original, das gesündeste und das beste war.

Natürlich passten Sport und Gesundheit zusammen. Die Sportarten, auf die es in Italien ankam, waren damals schon Radsport und Fußball. Fußball hatte nur begrenzte Möglichkeiten für Sponsoring. Radfahren passte ohnehin viel besser. So entstand das kultige Radtrikot in orange. Man kann es mit Fug und Recht behaupten: Wäre der Radsport nicht gewesen, würde wir heute beim Italiener ein günstigeres Wasser trinken. Vielleicht sogar eins mit weniger Uran. Ökotest hat das herausgefunden. Die Experten bemängeln außerdem, dass San Pellegrino Flaschen immer hierherfahren werden müssen, um an Ort und Stelle wieder aufgefüllt zu werden. „Stammen Flaschen beispielsweise aus dem Pool der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB), sind die Transportwege des Leerguts deutlich kürzer,“ sagt Ökotest.

Unsere eigenen Transportwege sind inzwischen megakurz. Öko sowieso. Die letzte Etappe haben sich die feinen Herrn so eben etwas schwerer gemacht. Aber nichts, was man am schicken 5-Gang-Menü zu bereuen hätte. Solange das Rad mehr Gänge hat als das Menue geht die Sache nach moderner Trainingslehre in Ordnung.

Erkenntnis der letzten Nacht: „Da drüben brennt‘s“, erkannt Michl gestern gegen Zehne von seinem eigenen Hotelzimmer aus. Tatsächlich loderten am Horizont die Stichflammen höher als die Häuser zuvor. Warum keine Feuerwehr? Das ist doch nah am Wald? War es aber nicht. Die leichte Panik legte sich erst, als wir vom besonnenen Hotelpersonal erfuhren, dass es sich um ein rituelles Feuer zu Ehren von San Antonius handelt.

Zambla Alta
Dossena
San Giovanni Bianco
San Pellegrino Terme