30 Mai Grüße ans Schallarchiv
Bergerfahrung, Etappe 5, Kiefersfelden – Fusch an der Großglocknerstraße, 111 km, ca. 1.000 Höhenmeter.
Ist das nicht schlimm? Ich kann den Text. Die erste Strophe auswendig – und ich bin nicht allein. Michl auch. Nicht, dass wir jetzt gemeinsam gesungen hätten am Radweg am grünen Inn. Aber beide den selben Ohrwurm im Hirn. Kufstein-Lied. Franzl Lang. Zugegeben, den musst ich googeln. Aber die erste Strophe kannte ich auswendig, und zwar fehlerlos, wie sich bei Google rausstellte. Ist halt so ein Ding, da merkst du, welche Generation du bist. Die Franzl-Version ist von 1968, subjektiv lief sie in Dauerschleife die gesamten Siebziger. Ich konnte noch nicht lesen, von Mathe und Fremdsprachen ganz zu schweigen. Aber das Kufstein-Lied konnte ich und die erste Strophe bis heute. Ich geb den Einsatz: „Kennst du die Berge, …“ Wer ungefähr so viele Monde gesehen hat, kann locker weiter singen. Für die Anderen: Es ist das „We will rock you“ der Volksmusik.
Meine persönlicher Kufstein-Schrecken war zwischen Elf und Zwölf am Morgen. Mutti kochte. Das Radio dudelte. Wunschsendung im Süddeutschen Rundfunk. Da sprachen die Moderatoren noch live mit den Leuten. Und weil man nochmal angerufen werden wollte, waren alle Hörerinnen ganz freundlich bei ihren paar Sätzen. Irgendwann hatte es sich etabliert, dass man dem „Schallarchiv“ Grüße auszurichten hat. Für die Jüngeren: Das war sowas ähnliches wie Spotify, nur mit echten Menschen. Währenddessen zeigte mir Mutter, wie ich Linsen abschmecke (Salz, Essig, gekörnte Brühe) im Original von meiner Mutter. Irgendwann kurz vor 12 jodelte Franzl Lang über Kufstein. Wurde der tägliche Kufstein-Wunsch nicht erfüllt, hagelte es Protestanrufe im Sender. Michl konnte sich noch an einen weiteren Evergreen aus der berüchtigten Sendung erinnern. „Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren“ von Camillo Felgen. Man kann vor der Tatsache die Augen nicht verschließen, dass die Hörerschaft damals so alt war wie wir jetzt. Ansichtssache bleibt, wie man die Michls heutige Haarfarbe treffend beschreiben könnte. Heller als sehr hellgrau, würde ich meinen.
Erst nach der fiesen Rampe auf dem Feldweg hinter Kössen war Kufstein vergessen. Vorerst.
Heute sogenannte Überführungsetappe. Also nicht Besonderes. Seitlich am Wilden Kaiser vorbei. Dann durch Hochfilzen, kennt man vom Biathlon. Für die Jüngeren: Biathlon ist sowas, wie das „It‘s raining men“ (Weather Girls) der Wintersports. Ein paar Feldwege später landeten wir in Leogang. Für die Biathlon-Seher: Das ist das Ruhpolding für Downhill, also Mountainbike. Und das wiederum die Rettung für die Bergbahnen-Industrie, wenn in naher Zukunft nichts mehr ist mit Ski. Mit unseren albernen Rennräder sahen wir an der Talstation aus wie von einem anderen Planeten. So deplatziert wie der Hinweis auf den TEH Kräuterworkshop, der im roten Buchstabenlaufband zwischen den coolen Downhillstrecken beworben wurde. Plakativ mitten in der Vollbeton-Architektur der modern-alpinen Talstationen. Kräuterworkshop immer Donnerstags Zehn bis Zwölf. Gedacht für die Altersgruppe, die gerade ihren Ohrwurm nicht los wird.
Erkenntnis des Tages: Zwei Apfelschorle und zwei Espresso können durchaus 19,60 kosten. Wir wollen darüber nicht meckern, schließlich haben Menschen unsere Bestellung aufgenommen. Das Bestell- und Bezahlterminal von Gastrosolution-IT neben dem Eingang war noch außer Betrieb.