Tote Oma - Texter Sautter
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Tote Oma

GRENZERFAHRUNG, ETAPPE 6: Pirna – Olbernhau, 81km, 1.200 Höhenmeter

Mittagessen bei einer uninzeniert-urigen Metzgerei in Altenberg. Was wohl die „Tiegelwurst“ sei, wollten wir wissen. „So ne Grützwurst.“ Die alte Metgzersfrau interpretierte richtig, dass wir mit der Antwort wenig anfingen und schob nach: „Wir sagen auch tote Oma dazu“. „Aha, dann bitte doch Spirelli.“ Diese Nudeln sind in Sachsen heimisch, und haben rein gar nüscht mit Pasta zu tun. Spirelli zwar Nudeln, optisch gesehen, aber von Geburt an lapprig und verkocht. Sie sind nur original, wenn sie nach nichts schmecken. „Gar nichts“, wie der Sachse gerne betont, um weitere Nachfragen im Keim zu ersticken. Dazu werden Bröckelchen gereicht, die nach Wurst aussehen, und Käse drübergestreut, der vermutlich aus Wasserersatzstoff hergestellt wurde. Beides schmeckt mit den saucenlosen Spirelli vermischt, wie… man hat was im Mund. Bißchen wie Zellstoff im Ofen verbrennen, macht zwar Feuer an, aber niemals heiß. Hatte das schon mal probiert mit den Spirelli. Beim Auswärtsspiel bei Erzgebirge Aue. Genau identisches Geschmackserlebnis: Gar nüscht.

Derart gestärkt sind Erzgebirgsrampen eine echte Challenge. Bei bestem Wetter und extra wenig Ausflugsverkehr trotzdem ein großer Genuss. Wir gondelten durch unbesiedelte Wiesentäler an der Tschechischen Grenze entlang und entdeckten Dörfer, die ich fast als angeschnitten von der Außenwelt bezeichnen würde, wenn nicht Satellitenschüsseln auf jedem Dach angebracht wären. Mehr als die Hälfte der Sachsen arg eifrig mit dem eigenen Garten. Putin aufgehübscht mit Blümlein und Figürlein. Aber hoch und runter, du machst dir keinen Begriff. Die wohnen alle am Berg. Uff. Tatsächlich waren die letzten fünf Tage im Flachland kräftezehrender als gedacht. Und wer‘s nicht wahrhaben will, dass die Muskeln einen auf tote Oma machen, dem hilft die fünfzehnprozentige Erzgebirgsrampe bei der Erkenntnis.

Bei der Bienenmühle wollte ich hoch, weil die Friedensfahrt diese Steigung einst genommen hatte. Doch der schöne Name Bienenmühle steht im harten Kontrast zur Wand, die sich dahinter verbirgt. Was ein Bienenstich! Bitter gradaus hoch. Etwa wie der sächsische Charme: stets gradlinig vorgetragen, schnörkel- und sepentinenlos. Aber die Sachsen muss man sagen: nicht über einen Kamm scheren! Nur doof, dass die Doofen halt die lautesten sind. (Ja, ich sollte selbst leise sein beim Thema Lautstärke) Diese Rufschädiger brüllen Radfahrer aus dem fahrenden Auto an oder sprühen „Elb Kaida“ meterhoch an Hauswände. Und trotzdem: Mehr feine Sachsen als man gemeinhin mitbekommt. In der Dienstleistung sowieso, aber auch beim freundlichen Gruß auf der Straße. Feiner Menschenschlag. Und das mit den dummen Lauten: Bin besser ruhig, ich komm aus Stuttgart, sollte diese Zusammenhänge gewohnt sein.

Erkenntnis des Tages: Wenn man mal eine Etappe unter hundert Kilometer einlegt, ist‘s ja fast wie ein Tag Urlaub.

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