20 Jun Fizinalstraße
In dieser Zeit passieren die seltsamsten Sachen. Wenn Du gedacht hast, Corona, Schwurbler, Dieter Nuhr oder FDP, jetzt kann dich nichts mehr umhauen. Weit gefehlt. Es geht noch schräger. Heute saßen wir zu Mittag auf der Schwäbischen Alb in einem Wirtshausgarten an der Straße. Und jetzt kommt’s: Die Einheimischen haben mit uns gesprochen. Auf der Alb! Mitten in Großengstingen. Ohne Grund. Einfach so. Sogar freundlich. Aufgeschlossen. Tatsächlich macht sich Optimismus breit an manchen Stellen des Landes. Kaum zu fassen: Sogar auf der Alb. Freudentaumel Hilfsbegriff. Natürlich haben die gemerkt, dass wir woanders herkommen. Vermutlich sogar geahnt, dass wir aus der fernen Landeshauptstadt kommen. Und trotzdem weiter gesprochen. So freundlich sogar als wärs total normal. Sie haben uns den weiteren Weg erklärt. „Do fharedrr emmer ibrr drr Schwäbische-Alb-Heiwei, der isch subrr“ Und das Beste: Die haben uns nicht mal verarscht. War genau die geplante Route. Aber mit Beschreibung der Einheimischen natürlich noch besser. Jetzt ist das mit dem Highway natürlich ironisch. Es ist eine Aneinanderreihung von einsamen Feldwegen, Schleichwegen, die nur Eingeborene kennen und wundervollen Fizinalstraßen. Also nichts wildes. So surfen wir in Richtung Süden. An den sanften Gegenhängen vereinigen sich Mare und Monte aus unseren riesigen Salatportionen zu einer homogenen Melange. Energie!
Höchste Zeit für ein Lob der Fizinalstraße. Welch wundervoller Begriff, welch Straße! Nicht digital, nicht urinal, sondern fizinal. Und eine Schande für die große Weltmaschine. Eingabe „Fizinal“ gibt nur wenige Treffer. Dabei sind die Fizinalstraßen genau diejenigen, die man suchen sollte. Egal mit welchem Gefährt, aber mit dem Rad auf jeden Fall. Ich kenne das Wort von meinem Vater, der war ja mal Bürgermeister vor vielen Monden. Er erklärte mir, dass es sich bei der Fizinalstraße um eine amtliche württembergische Bezeichnung handelt. Keine Landstraße, gleich gar keine Kreisstraße, aber auch kein Feldweg. Eben eine Fizinalstraße, eine Straße über Land, aber niederer Ordnung. Anders erklärt: So ein Sträßchen, über das man von der Kneipe heimfuhr, wenn man zuviel gebechert hatte, und dachte, das kennt kein Bulle, diese Straße, was natürlich dazu führte, dass alle braven Landpolizisten die Nachtschicht an der Fizinalstraße verbrachten, weil dort garantiert war, dass die Nacht gar nicht so langweilig wird. Fizinalstraße eben. Als Radler eine Supersache. Den Schnaps, der uns nach dem Salatberg angeboten wurde, lehnten wir übrigens ab. Wer die Eigenheiten von Fizinalstraßen kennt, kommt besser durchs Leben.
Auf so einer Straße fanden heute auch die Deutschen Radmeisterschaften statt. Dass wir zeitgleich an selber Stelle an der Stuttgarter Waldau starteten, ist natürlich kein Zufall, sondern symptomatisch. Ehrgeiziges Radeln ist unsere Sache nicht. Wir haben es heute erneut mustergültig geschafft, keine einziges Strava-Segment in Bestzeit zu absolvieren. Der Ein-Mann-Max-Schachmann-Fanclub war übrigens schon um kurz vor Acht am Morgen zur Stelle. Ich freue mich mit ihm, dass Max das Deutschermeister-Trikot tragen darf. Einen kurzen sportlichen Moment mag ich trotzdem nicht verschweigen. Am Albaufstieg in Unterhausen stand ein Stoppomat. An dem Apparat ziehst du eine Karte, stempelst die Uhrzeit, und oben steckst du das Ding wieder in den Gipfel-Stoppomat. Pflichtschuldig zogen wir eine Karte. Leiderleider zweigte unsere Route vor dem Gipfelstoppomat ab. Wir fanden: Als Mensch gewordene Stoppomaten brauchen wir keinen zweiten Stempel. Wer fährt im Hühnerstall Fahrrad? Die Stoppoma. Blöder Witz.
Gegen gutgelaunte Albernheit gibts übrigens ein Gegenmittel. Gutgelaunte Albernheit mit Niveau. Aus gegeben Anlaß kommt jetzt der große Robert Gernhardt zu Wort. Nachdem er durch Metzingen gegangen war, reimt er..
Dich will ich loben, Häßliches,
Du hast so was verläßliches.
Das Schöne schwindet, scheidet, flieht,
fast tut es weh, wenn man es sieht.
Wer Schönes anschaut spürt die Zeit,
und Zeit sagt stets: Gleich ist’s so weit.
Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer,
die Häßlichkeit erfreut durch Dauer.
Was sollen wir sagen: Kurz hinter Metzingen hatten sich die Wolken verzogen. Die Sonne lachte, wir freuten uns über Stoppomaten und freundliche Älbler. Die Welt war voller Glück, sogar so prall gefüllt, dass uns die Älbler Mofagang, die uns auf der Fizinalstraße entgegen kam, freundlichst grüßte. Mehr kann man vom Leben kaum verlangen.
Erkenntnis des Tages: In Wilsingen auf der Alb gibts eine Pferdedeckenwäscherei. Die waschen dort auch Schabracken. Hab ich nur geschrieben, damit mir keiner kommt, ich hätte das verschwiegen.