30 Sep Wilde Maus rückwärts
Ronde, Etappe 7, Geraardsbergen – Kwaremont, 102 Kilometer, 1.010 Höhenmeter
Ein Bier tut der Form keinen Abbruch. Belgische Biere gehören zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. Lokale Biere werden bevorzugt, selbst dann, wenn sie ein paar Kilometer in der Nachbarschaft hergestellt werden. Bei uns in Deutschland darf nur Wasser, Hopfen, Malz und Hefe drin sein. Nennt sich Reinheitsgebot. Belgien wundert sich vermutlich seit mehr als hundert Jahren über das deutsche Gebot, das definitiv aus der Zeit gefallen ist. Inzwischen längst Kreativbremse. Jetzt will ich nicht so tun als wär ich Biersommelier oder wäre mein Geschmack feiner als der eines durchschnittlichen Quartalsäufers (m/w/x). Aber ich stelle fest: Hier macht‘s Bier mehr Spaß als zuhause – und das liegt nicht nur am Urlaub. Sondern auch an der Tradition. Ob es nach Himbeer oder Kirsche schmecken muss, sollen Andere beurteilen. Ist für jeden was dabei. Und für mich heute ein Kwaremont. Ich tippe diese Zeilen im zünftigen Eetcafé „In de Zon“, das mit Café so viel zu tun hat, wie das Oktoberfest mit gutem Geschmack. Die Gaststube proppenvoll. Wenn einer stört, bin‘s ich. Handytippend. Aber ich darf das, ausnahmsweise. Denn die Gaststube liegt oben am Kwaremont. Und den hab ich bezwungen. Flandrien! Der kleine Weiler heißt wie der Berg, wie das Bier, das hier seinen Ursprung hat, und wie der klassische Aufstieg bei der Flandern-Rundfahrt, der Oude Kwaremont, der keine dreißig Meter von meinem Bier endet.
Für sich allein genommen, ist so ein Kopfsteinpflaster-Anstieg nur lästig. Sportlich wird es erst, wenn du die Hellinge aneinander perlst. Die Profis nehmen einen Helling nach dem anderen, aber erst, wenn sie rund 150 Kilometer flach in den Beinen haben. Dann erst Taaienberg, Kortekeer, Paterberg, Kanarieberg und wie sie alle heißen. Berg natürlich nicht Berg wie bei uns. Das geht hier schnell vorbei. Nach dem vierten Kopfsteinpflaster-Helling weißt du trotzdem nicht mehr, wie du heißt. Insgesamt kommt ne Profi-Ronde auf rund 270 Kilometer. Fuffziger Schnitt ungefähr. Bei mir gilt: Schnitt ist Shit. Und zehn Hellinge reichen. Nur den Koppenberg hab ich geschoben. Der wird auch in der Streckenführung der Ronde nicht mehr berücksichtigt. An diesem 22-Prozent-Monster mit üblem Pflaster fielen schon manche Profis um. Jesper Skibby ist vor vielen Jahren am Koppenberg fast unter den Materialwagen gekommen während der Ronde. Dann hat man den Koppenberg raus genommen. Ich weiß, warum. Etwa an der Stelle hatte ich auch plötzlich Zweifel an der Sinnhaftigkeit meines Tuns. Ziemlich spät, werden manche jetzt denken. Nun ja. Immerhin: Es kommt mir zugute, kein ästhetischer Radler zu sein. Stellt Euch einfach vor, der sadistische Trainer hätte im Fitnessstudio die Beinpresse zwanzig Kilo schwerer gemacht, und sie als Wägelchen auf die wilde Maus gestellt. Und jetzt rückwäääärts. Und drücken! Zehn Sets à acht Stück. So etwa.
So schön kann Belgien sein. Während ich fotografiere, fährt ein Junger wieder den Kwaremont runter. Und wieder hoch. Intervalltraining. In der Gaststube ahne ich, warum man hier so gerne radelt. Belgische Köche sparen nicht an der Menge. Ohne Radeln könntest du bald nicht mehr laufen. Eintöpfe, Nudeln, Fleisch – unter einem Kilo verlässt kein Teller die Küche. Und dann noch das Bier obendrauf. Mahlzeit. Und ach… bitte noch eines, gell.
Erkenntnis des Tages: Trappisten-Bier gibts auch zum Duschen. Von Westmalle. Hat natürlich nichts mit dem Reinheitsgebot zu tun.