Where Are you - Bernd Sautter
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Where Are you

Where Are you

Neues von den Balkanplatten, Etappe 16, Shkodra – Tirana, 114 km, 450 Höhenmeter

Entspannungsetappe ist angesagt. Auf dem Papier der hässlichste Abschnitt unserer Reise. Die Meisten brettern auf der Autobahn durch, grad und schnell. Auf dem ersten Abschnitt ist die Schnellstraße einspurig. So dass auch wir auf dem breiten Standstreifen unseren Rhythmus finden. Geht auch nicht anders, sonst Schotterweg. Dazwischen gibt’s nichts. Grundregel dabei: Von hinten meckert immer einer, dass es aber mit dem aktuellen Tempo keine Entspannung wird. Und wenn der dann vorne fährt, drückt der Andere drauf als hätte man am Nachmittag einen dringenden Businesstermin, zu dem man bereits geduscht erscheinen müsse. Auf diese Weise kann man sich auch die Zeit beim Radeln vertreiben. Zumal wir bei jeder Umdrehung dem Wettergott danken, dass er uns netterweise mit leichter Luft von hinten unterstützt. Aktive Erholung ist dringend geboten – und wir ermahnen uns gegenseitig zur Disziplin. „Vllaznia“ Bruderschaft. Die Vokabel kann ich mir merken, weil der Fußballklub von Shkodra so heißt. Zu sehen gibt‘s auf der ersten Hälfte: genau nichts. Erst als wir auf die Landstraße abbiegen wird’s interessant. Die zweite albanische Vokabel, die ich lerne ist nicht „Guten Tag“ oder „Danke“ oder irgendwas, was man brauchen könnte. Ich lerne „Lavazh“, im übrigen ein Lehnwort aus dem französischen. Es steht an so vielen Flachdächern, die frei am Straßenrad stehen mit nichts drunter außer Auto. Wir fahren durch Kärchers Paradies. Jeder, der was auf sich hält, dampfstrahlt sein Auto sauber. Jeder. Steht wohl im albanischen Grundgesetz: Sonntagmorgen Autowaschen. Was man hierzulande alles in die Natur wirft, ist wirklich schlimm. Überall liegt Plastikzeugs. Überall. Nur das Auto muss sauber sein. Das verstehe wer will. Vielleicht muss man für eine Erklärung zurück zum bestialischen Regime von Enver Hoxta, diesem Diktator, der das Land vierzig Jahre wie ein Gefängnis geführt hat, und jede und jeder, der auch nur einen Muks gemacht hat, ermorden ließ. Nebenwirkung dieses Staatsverbrechers ist, dass Albanien der erste Staat in Europa war, der absolut säkular war. Also Staat und Religion getrennt. Naja, ich sag’s besser genau wie‘s war: Religion war verboten. Bißle beten, und du warst weg vom Fenster. Aber sofort. Als Albanien dann vom Regime erlöst wurde, was taten die Leute dann am Sonntagmorgen? In die Kirche gehen, eher nicht. Das kannte die wenigsten. Neue Religion: Auto, weil Auto gleich Freiheit. Also geht man am Sonntagmorgen Autowaschen. Verstehst du, wie ich’ meine?

Die Leute übrigens unendlich freundlich. Da werden wir gewunken, applaudiert und begrüßt wie die Großen. Daumen hoch, wenn wir vorbei ziehen. Das macht was mit dem Touristenradlern. So unfreundlich man in Albanien zur Natur ist, so freundlich ist man zu den Leuten. Später in Tirana radeln wir durch die Outbacks. Einzelne Kids radeln neben uns her „Where are you?“ wird gefragt. Mit „from“ wär die Frage langsam besser geworden, aber du willst ja nicht gleich den Oberlehrer geben, zumal wenn du from Germany bist. Der Enkel der Restaurantbesitzerin, bei der wir zu Mittag speisen, ist da schon ehrlicher. Der ist total aufgedreht, begrüßt mich mit Abklatschen und schreit „Moneymoneymoney“.

Im Café lerne ich noch was fürs Leben. Geht‘s dir auch so? Ich denke ja klammheimlich, also so heimlich, dass ich es kaum schreiben mag, denke ich: also ein bißchen, ein ganz klein bißchen, also ganz wenig, aber schon etwas, und obwohl es gegen jeden Verstand ist, vielleicht sogar doof von mir, glaub ich, na, ein klitzekleines bißchen könnte was dran sein…. dass sich die Leute in Asien sich untereinander mehr gleichen als wir Langnasen in Europa. Ja, ich weiß, dass es Humbug ist. Weil, die denken ja dasselbe von uns. Und auch in die andere Richtung ist es Quatsch. Jetzt heute im Café hab ich das Phänomen live aus der anderen Richtung erlebt. Weil du musst nicht Asien bemühen, damit du merkst, dass die Ähnlichkeitszuschreibung extrem dünn gedacht ist. Albanien reicht schon. Denn der wirklich freundliche Besitzer der Bar, hat nach „Where do you come from?“ gleich mit der zweiten Frage wissen wollen, ob wir Brüder sind. Klar kannst du jetzt sagen, die radeln seit zwei Wochen zusammen, die werden sich immer ähnlicher. Ich glaub allerdings: Der Cafébesitzer ist der weit verbreiteten Ähnlichkeitszuschreibung auf den Leim gegangen. Drei Affen mit peinlich engen Klamotten, eierigem Gang und komischen Rennrändern, also ich bitte dich, die Frage nach der Vllaznia liegt doch auf der Hand.

Erkenntnis des Tages: Was du auf dem Rad über Land und Leute denkst und wie es wirklich ist, kann unter Umständen ein riesiger Unterschied sein. Am Abend sitzen wir mit einem Engländer zusammen, der seit vielen Jahren hauptsächlich in Tirana lebt. Seine albanische Gattin-in-spe kommt ebenfalls hinzu. Die Viertelstunde, die die beiden über die Menschen in Albanien und die menschengemachten Zustände berichten, erspare ich dir an dieser Stelle. Waren auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Nur ein kurzer Auszug: Dass die Leuten hier so freundlich sind, können die Beiden nicht mehr hören. Weil: Freundlich sind sie nur zu Touristen. Untereinander sind sie es nicht. Überhaupt nicht. Das albanische Wesen sei laut, unnachgiebig, kleinkariert. Die meisten Gespräche der Einheimischen würden nur um Geld gehen (frei übersetzt aus dem Englischen). Bestätigt auch die aufgeklärte Albanerin. Die hinzufügt, dass sich früher niemand getraut hätte, seinen Müll in die Landschaft zu werfen. Die Albanierin und der Engländer wollen heiraten und nach Umbrien ziehen. Wie so viele, die weg wollen.

Da warst du gerade eben dabei das Land menschlich sympathisch zu finden und dann das. Ich erinnere mich an den Buben und sein „Moneymoneymoney“-Geplärr. Dann besinne ich mich. Stichwort Ähnlichkeitszuschreibung. Jede und jeder ist verschieden. Gilt auch für die Leute hier. Die Schwaben sind geizig, die Bayern brauchen ihre Wurst. Von der Herkunft auf die Person zu schließen, ist seit jeher schwierig. Die Zustände mögen nicht so niedlich sein, wie wir uns erhofft hatten nach erster Ansicht. Außerdem: Dass die Gesellschaft im Land 40 Jahre nach Hoxta mit manchem im Rückstand ist, muss man leider zur Kenntnis nehmen.