14 Jun Schampus in Cupertino
Etappe 16, Tourette de France, Roquebilliere (F) – Dolceaqua (I) 81 km, ca 1.900 Höhenmeter.
Du erfährst ziemlich viel auf einer Radtour. Vor allem über dich selbst. In der Selbsterfahrung der Michl allerdings unschlagbar. Was der alles weiß: Cardiofitness in VO2MAX, Bewegen in KCal pro Tag, Strecke in Kilometer, Gehtempo in Kilometer pro Stunde und die Liste ist nach lang nicht vollständig. Innere Werte Hilfsbegriff. Das lohnt sich. Der Michl auf der Tour mehr Auszeichnungen eingefahren als Geraint Thomas. Dem Michl seine Uhr wackelt dauernd. Rekord in der Höhenzunahme pro Tag. Uhr vibriert. Super Michl. Rekord in den Stehminuten pro Tag. Uhr auf high Vibrations. Super Michl. Steht wie ne Eins. Rekorde in der Höhenzunahme eigentlich täglich auf dieser Tour. Da fällt die Uhr fast vom Handgelenk ab, so vibriert die. Ich stell mir vor, dass sie im Rechenzentrum in Cupertino beim großen Apfel täglich Champagner auf Michl saufen und „Super Michl“ skandieren. Der Michl in Californien längst Legende. Da sind sie sogar tolerant geworden bei der bipedalen Abstützungsdauer, die ist beim Michl gar nicht so prall. Aber beim großen Apfel wissen sie: Nicht so viel Kritik üben. Lieber nicht die bipedale Abstützungsdauer so in den Vordergrund stellen. Nicht, dass die anderen Werte nach unten wegkrachen, nur weil der Michl plötzlich die bipedale Abstützungsdauer in den Fokus nimmt. Und wie locker das der Michl macht. Heut am Col de Turini fast mehr Rekorde als Serpentinen. In Cupertino flippen sie kollektiv aus. Stimmung wie beim Superbowl dort. Super Michl!
Aber dann ist sogar der neue Stern am Himmel von Cupertino Schlangenlinien gefahren. An einem namenlosen Berg im ligurischen Hinterland. Ein geteerter Feldweg, der kaum in Karten verzeichnet ist. Die Rampe kannst du dir vorstellen wie den Fußweg von Rohracker zum Frauenkopf, also senkrecht den Wengert hoch. Nur fünfmal hintereinander. 20 Prozent Steigung in der Spitze. 400 Höhenmeter als würdest du im Lift den 150 Stock drücken und dann die Aufzugskabine im Handbetrieb hochkurbeln müssen. Der Michl trotzdem hochpedaliert wie ein Uhrwerk. Null Gehsekunden. Gekämpft wie ein Löwe. Aber jetzt Überraschung: Uhr totenstill. Keine Meldung, nix. Da hat der Michl jetzt Pech gehabt, weil die in Cupertino gedacht haben, kann nicht sein, der Michl mit der Seilbahn hinauf, auf E-Bike umgestiegen oder Uhr an eine Rakete geklebt oder irgendwie anders, jedenfalls klarer Messfehler und kein Rekord. Nicht ein einziger. Uhr nicht vibriert, weil kann gar nicht sein. Sagt Cupertino. Wenn wir die Drecksrampe nochmal gefahren wären, also ich sage wenn… dann hätt die Uhr morgen gemeldet: Bitte einschicken, zurück auf Werkseinstellungen, da stimmt was nicht. Sowas wie den namenlosen Anstieg bei Verrandi kann man sich Kalifornien eben nicht vorstellen.
Der Michl übrigens keine Starallüren. Null. Der weiß ganz genau: Nächste Woche kommt er in Erklärungsnot. „Du Siri, magst du mich auch, wenn ich mich nicht mehr bewege?“ Da braucht die bald arg Toleranz, dem Michl seine Siri in der Uhr. Da wird sich zeigen, ob sie nur wegen der Rekorde so eng an ihm hängt, in ihren 800-Euro-Gehäuse, das er seiner Siri gegönnt hat, damit sie in Cupertino den Schampus zahlen können.
Dagegen holt meine Selbsterfahrung keinen Korken aus der Flasche. Ich merk, wenn mir die Luft ausgeht, und das zuverlässig viel zu früh. Neulich morgens einen leichten Hügel durchgedrückt, weil ich die Karte nicht lesen konnte. Dann ging der leichte Hügel nahtlos in einen vier Kilometer Berg über und ich stand kurz nach neun Uhr Ortszeit unten am Berg, dass sie in Kalifornien schon die Beatmungsgeräte losgeschickt hätten bei den Daten, die von mir gekommen wären. Sagen wir so: Bei mir Konzentration aufs Atemvolumen statt aufs Datenvolumen. Und ja, ich hab ne Gangschaltung am Rad. Man muss es ja mit der Fortschrittsverweigerung nicht übertreiben. Vielleicht fürchte ich mir davor, dass zu wenig messbares rauskommt in meinem Fall. Vermutlich ist‘s bei mir ähnlich, wie beim großen Dichter Robert Gernhardt, der schon lange vor der ganzen Self-Measurei im Rahmen einer simplen Selbstbefragung feststellte: „Ich horche in mich rein / In mir muß doch was sein / Ich hör nur »Gacks« und »Gicks« / In mir da ist wohl nix.“
Erkenntnis des Tages: Die Amerikanerin Anna Magnin soll 1891 eine pastry fork erfunden haben. Bei WMF soll runde zehn Jahre später eine Kuchengabel aufgetaucht sein. Und im Frankreich der Gegenwart: Leben wie Gott ohne Kuchengabel. Dafür teilen die Franzosen jeden harten Mürbteig spielend mit dem Teelöffel. Wie man das anstellt, ohne die Kuchenbrösel quer durchs gesamte Café zu schießen, hab ich leider in zwei Wochen nicht gelernt.