
23 Aug. Rohe Eier
Neues von den Balkanplatten. Etappe 1, Villach – Tarvisio, 37 km, 550 Höhenmeter
Jetzt geht das wieder los. In fortgeschrittenen Alter fangen ja viele Senioren an, sich komisches Zeugs vorzunehmen. Eher zwanghaft, weil Lebenszeit läuft ab und die Fitness ist schon vorher weg. Jetzt nicht das Vornehmen mit Demenz und ich kann mich nicht mehr erinnern. Sondern noch bei vollem Bewusstsein. Eher so „die eigenen Grenzen verschieben“. Als ob wir nicht gelernt hätten, dass Grenzen-verschieben-wollen eigentlich eine Drecksidee ist und gern mal im Krieg endet. Aber die Wohlstandsmenschen der heutigen Zeit bleiben ja ganz bei sich selbst. In diesem Fall erscheint das praktisch. Sie meinen die eigenen Grenzen, wenn sie was verschieben wollen. Also nur Krieg gegen den eigenen Body, man muss sich challengen, so lange es noch geht, meistens irgendwo in der Natur und auf der Langstrecke und ein paar Tage später rückt dann der Sanka an oder die Bergwacht, um Körper und verwirrte Seele wieder aus einer Felsspalte herauszumeißeln oder im Straßengraben einzusammeln. Tot oder lebendig. So kommen die Leute ab Fuffzich teilweise auf merkwürdige Ideen der Freizeitgestaltung. Manche melden sich für Ultra Races, andere kraxeln auf den Himalaya, wieder andere verlegen ihren Lebensmittelpunkt nach Sachsen-Anhalt.
Wir natürlich nichts dergleichen. Nur mal eben mit dem Rad nach Korfu. Und ohne Alpen, weil kennen wir schon, also auf die bequeme Tour. Drum wirft uns der Österreichische Schaffner in Villach auf den Bahnsteig und unsere Räder gleich hinterher. Wenn ich Wir schreibe, mein ich die Sportskameraden Fritz und Floff. Letzterer einer, der im Winter daheim im Keller seine Runden auf der Rolle dreht und trotz extrem genussorientierter Lebensführung mir auf 25 km Nürburgring Nordschleife glatte 10 Minuten abnimmt. Was aber als einigermaßen gemächliches Tempo durchgeht gegenüber dem Sportskameraden Fritz, bei dem ich schon jahrelang vermute, dass er aus komplett aus Plastik besteht. Fritz eher so der Typ Unzerstörbarer. So einer, den du auch am Grund der Adria aussetzen könntest. Selbst dort würde der Fritz weiterradeln wie ein Uhrwerk. Luftholen muss der sowieso nicht. Biologisch abbaubar auch nicht, sein Körper. Selbst wenn die Menschheit am andauernden Grenzenverschieben unterginge, würde der Fritz da unten weiterradeln, wahrscheinlich würde er gelegentlich fragen, ob ihm einer mal ein Bier reichen könnte, wegen der Elektrolyte oder einfach so, zwischendurch, der Abwechslung wegen. In dieser Anordnung starten wir heute in Villach, der Fritz, der Floff und ich, der Sandsack.
Eben weil wir es bequem angehen, heute überschaubare Etappe. Wetter nicht ganz so prall. Das beschert uns einen freien Alpe-Adria-Radweg. Die Werbeschilder, auf den ein Adria Cycling Taxi, wie ein Lumpensammler um Kundschaft unter saftlosen RadlerInnen wirbt, ignorieren wir im lockerem Rhythmus. Wolken hängen tief als wir nach wenigen Kilometern Österreich hinter uns lassen. Nur noch wenige Meter bis Travis im Kanaltal, also Val Canale, also Val Cjänal, also Kanalska dolina. Alles dasselbe. Babylonisch Hilfsbegriff. Offenbar ist es so, dass hier die Meisten italienisch sprechen, dann folgen furlanisch und slowenisch und zuletzt eben deutsch. Furlan? Nur falls es nicht geläufig ist: Das wird immerhin von 600.000 Menschen gesprochen und ist verwandt mit Rätoromanisch und Ladinisch. Auch so ne Gegend, die ein Lied davon singen kann, dass Grenzenverschieben kein Segen ist, zumal damals Hitler und Mussolini dahinter steckten. Wie Südtirol. Man hat den deutschsprachigen Kanaltalern die „Option“ gegeben, heim ins Reich zu kehren. Option natürlich bösartige Verharmlosung. Die Leute hatten die Wahl zwischen Alles-Aufgeben und Ab-sofort-gemobbt-werden. Weil Mussolini wollte Italienisierung, und Hitler wollte Weltherrschaft, vorläufig noch vorbehaltlich der italienischen Gebiete. Dabei war das Kanaltal erst nach dem ersten Weltkrieg an Italien gefallen. So ist halt, wenn du in einem Vier-Sprachen-Gebiet zu Hause bist und plötzlich die Idioten regieren. Die Deutschstämmigen haben sich dann in der Mehrzahl vertreiben lassen, wohl oder übel. In Villach hinterm Bahnhof gibt‘s heute noch die Kanaltaler Siedlung. Dieser Tage wird gestritten, ob man die alten Häuser erhalten sollte und, falls ja, wie genau. So ist’s gekommen, dass das Val Canale überwiegend italienisch ist. Aber die Erinnerung an die Vielfalt wird hoch gehalten. In unserem Etappenort Tarvis wird seit 30 Jahren das No-Borders-Festival gefeiert. Namhaft besetztes Open Air mitten in den Bergen. Mit Bühnen mitten in den Bergen und der Idee, sowas so umweltschonend wie möglich zu machen. Ich sag mal so: Das wär jetzt was Vernünftiges, das man sich fürs Alter vornehmen kann.
Erkenntnis des Tages: Wenn du als Verpflegung für die lange Zugfahrt harte Eier mitnimmst, oder du denkst, sie wären hartgekocht, solltest du sie genau prüfen, bevor du die Schale an der Abteiltür aufklopfst. Be Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass es zu Hause ein Missverständnis gab, von wegen wer kocht denn jetzt die Eier. Wenn’s nämlich keiner tut, nimmst du glatt einen Karton rohe Eier mit auf die Reise. Und falls das tatsächlich schief ging mit der häuslichen Kommunikation, hast du noch ein Problem, weil fünf rohe Eier nach Korfu jonglieren, das hattest du eigentlich nicht vor.