11 Jul Pilger
Buckelgezuckel, Tag 5, Eisenach – Fuhrbach bei Duderstadt, 110 km, ca. 1200 Höhenmeter.
Als der Papst im Jahr 2011 zu Gast war, schien die Sonne. Das kleine Kirchlein im Wallfahrtsort Etzelsbach war rausgeputzt. 90.000 Pilger säumten die Felder. Radabenteurer Hardy Grüne entwarf mir die Route des Tages und führte mich per Navi an zwei Wallfahrtsorten vorbei, von den ich im Leben noch nichts gehört hatte. Einer davon: Etzelsbach. Vermutlich wollte er mich daran erinnern, dass Radausfahrten nicht anderes sind als Pilgertouren per Drahtesel. Seit jeher wurde das grundlose Fortreisen aus der Heimat mit dem höheren Ziel des Ankommens im Irgendwo verklärt. Zu irgendwas sollte die entbehrungsreiche Reise schließlich taugen. Die Pilger im späten Mittelalter beteten am Zielort Etzelsbach, dass Familie, Viecher und sie selbst von der Pest verschont werden. Der Pilger von heute besichtigt huldvoll die Ziele der Brüder und Schwestern im Geiste, insgeheim ist er allerdings überzeugt, dass die Sache mit der Pilgerei noch funktioniert. Der gute Zweck ist jedoch weniger mystisch. Fitness, Gesundheit und Entdeckerfreuden sind unmittelbar erfahrbar.
Die Wahrheit der ganzen Pilgerei liegt natürlich dazwischen: genau zwischen Heimat und Ziel. Es geht um das Leben auf den Wegen. Heute ist es deutlich angenehmer als früher. Die Buckel und Tage, die sich summieren, sorgen für eine süße Form der Entbehrung. Immer wenn’s rauf geht, ist das Konzept „Pilgern“ in den Waden und am Gesäß präsent. Zugegeben: Bei Hightechpilgern wie mir hat die Askese abends Pause. Der Radler braucht Nährstoffe, am besten in drei Gängen (und manchmal Gin Tonic). Ob mich aus diesem Grund die schmerzvolle Muttergottes in Etzelsbach mit dicken Wolken und einer entschlossenen Einrüstung empfing, eben weil ich’s nicht so genau genommen hatte mit der Entbehrung? Nun, ich glaube nicht. Schließlich weiß sie auch, dass die ganze Welt gerade eine Baustelle ist. Man muss die Schuttmulde vor der heiligen Kappelle zu deuten wissen. Die mittelalterlichen Pilger hatten damals jeder ihre eigene Interpretation der Heiligen Dinge. So ist das heute noch.
So zog ich als strampelnder Pilger hin und her, mal in Thüringen, mal in Niedersachsen, das alte Grenzband der deutschdeutschen Grenze immer wieder überquerend. Von Westen zog Sturm auf, der Himmel in allen Grautönen. Blau leuchteten nur die Schwimmbäder. Tatsächlich: Ein hervorragender Tag für Schwimmbadfotos. Viel zu kalt zu schwimmen, so dass die kleinen Dorfschwimmbäder total menschenleer waren. Unten leuchtendes Blau, oben grau, tolle Kontraste. Die Fotografin Andrea Altemüller fotografiert seit vielen Jahren exotische und gewöhnliche Pools. Ohne Menschen. Sie hätte eine helle Freude gehabt an dem düsteren Nachmittag. Ich erlaubte mir, auch Schwimmbad-Bilder zu machen, wie wohl mir natürlich das Urheberrecht auf die Motividee fehlt und auch die Exzellenz der Umsetzung.
Zur heutigen Route: Erst dem schönen Werratal folgend (Geheimtipp) und dann durchs Eichsfeld nach Norden. So heißt diese weite, schöne Landschaft, in die es mich verschlug, weil Hardy am nördlichen Ende wohnt. Er hatte extra ein paar Steigungen für mich eingebaut, damit ich nicht so sehr fremdle in seiner Heimat. Tolle Abfahren, mit schön unrhythmischen Kurven. Ich mags ja, wenn’s abwechslungsreich ist. Warum der Papst allerdings hier aufschlug, weiß man nicht so genau. Jeder andere Wallfahrtsort hätte es auch verdient. Auf den Tafeln ist vermerkt, dass er gern hergekommen wäre, weil er so viel von den Eichsfeldern gehört hätte. Da könnte er geflunkert haben. Die Gegend gilt als katholischfromm. Und die Kirche hat Statistiken. Auch der Papst geht gerne dorthin, wo das dankbarste Publikum sitzt. Wo er einst mit dem Papamobil erschien, sauste ich heute den Berg hinab. Ich passiere den vierten Ort namens Steinbach auf dieser Tour, entdeckte in Flinsberg schon wieder einen Mittelpunkt Deutschlands und entkam dem kalten Regen. Soweit die Tagesbilanz. Damit gehts in den verdienten Pausentag.
Erkenntnis des Tages: Die Änderung der Straßenverkehrsordnung hat tatsächlich etwas gebracht. Viele Autofahrer verhalten sich rücksichtsvoller Radlern gegenüber. Nicht alle. Aber genug, um sich über den Fortschritt zu freuen.