05 Jun Once in a lifetime
Etappe 7, Tourette de France, Seyssel – Bourget du Lac, 90 km, 2.150 Höhenmeter
Wo ist eigentlich das gute Wetter, wenn man es mal braucht? Hier! Beim Michl die Vorfreude riesig. Heute Grand-Colombier-Etappe. Da ist er gleich mal mit einem Limbo unter dem tiefhängenden Eingangsrollladen in die Boulangerie gedanct. Die Boulangereuse freut sich jetzt noch. Und dann rein in den Berg – mit Croissant und Karacho. Grand Colombier, hört sich ja schon toll an. Wie Colombo. Wie Kolumbus. Irgendwie kolossal halt. Aber vielleicht bist du nur so fantasievoll, wenn du nicht französisch kannst. Für Franzosen ist es halt ein großer Taubenschlag, warum auch immer. Der Colombier kein klassischer Tour-Berg. Erst seit einem Jahrzehnt taucht er im Programm auf. Aber ein Riese. Der letzte Berg des Jura, nach Süden hin. Extrem exponiert. Überragender als die Voralpen neben. Dazwischen die Rhone. Viel Schönwetter. Drei Autos bei zweieinhalb Stunden Aufstieg. Kaum was los. Warum? Weil man eigentlich keinen der vier Anstiege zur Passhöhe wirklich braucht. Außenrumfahren ist für den herkömmlichen Verkehr viel schneller. Warum man die vier Feldwege, die hoch führen so gut ausgebaut hat? Weiß der Taubenschlag. Vielleicht sogar wegen der Radrennen. Seit den Neunzigern wird der Colombier in die Tour de l‘Ain eingebaut. Später durch die große Tour de France, sofort legendär. Bei der Auffahrt von Culoz windet sich das Sträßchen dermaßen malerisch um die Felsnadeln, dass du fast die Steigung vergisst. Die Tour-Veranstalter mögen das. Liefert tolle Bilder aus den Hubschrauber. Andererseits: Wenn du an den Serpentinen stehst und ganz Panorama wirst, auch irgendwie Hubschrauber-Perspektive.
Auch praktisch: Die schönste der vier Auffahrten ist die leichteste. Muss man so sagen, trotz 1.300 Metern Anstieg mit giftigen Rampen. Geht ja schlimmer. Die Leute von der Confrèrie de Félés du Grand Colombiers wissen das. Die Bruderschaft der Irren vom Grand Colombier hat sich aus denen formiert, die alle vier Anstiege an einem Tag gefahren sind. Inklusive der Nordrampe, die vier Kilometer lang im Schnitt 16 Prozent hochgeht. Mit 22 Prozent in der Spitze. Beim Runterfahren kriegst du Krämpfe vom dauernden Bremsen. Hab ich genug erzählt?
Vermutlich. Kurzversion: Ist halt so ein Once-in-a-lifetime-Ding, wenn du ein Rad-Nerd bist. Und die Kirsche auf der Torte. Kurz vor der Passhöhe wirst du mit einer Hommage an Kraftwerk verwöhnt. Die Guilty76StreetGuerilla hat Autobahn, Mensch-Maschine, Radioaktivität und natürlich das legendäre Tour-De-France-Cover auf der Straße verewigt. Sieht auch noch ein Jahr nach Installation blendend aus. Oben übrigens nur Radler und Wanderer. Kein Touribumms mit Mallorca-Aprèsski-Tamtam. Nur drei fein hergerichtete Container mit dem, was der Radsportler halt so bracht. Und wenn du vier Stunden lang alle Aussichten verinnerlicht hast, merkst du, dass die Arten auf der riesigen Bergwiese vor deiner Nase um die Wette blühen. Der Berg ist dermaßen seligmachend, dass ich sogar milde bin gegenüber dem Sportskameraden im Jumbo-Visma-Trikot. Kann man anziehen. Muss man aber nicht. Gilt für alle Teamtrikots. Wenn du kein Crack bist, lässt du das bleiben. Weil die Differnenz zwischen dem Pro-Team und deinem eigenen Radfahrvermögen zum Himmel schreit. Solche Teamtrikots sehen mit Wampe noch dümmer aus als eh schon. Nur auf dem Colombier geht das. Auf dem Colombier radeln ist sowieso eine große Gnade. Hier machst du als Radler deinen Frieden. Mit allem. Aber vergiss nie: runter bitte nur mit guten Bremsscheiben. So final hab ich das mit dem eigenen Frieden nicht gemeint.
Geht’s eigentlich noch besser? Bitteschön, willkommen beim singenden Koch von Ceyzérieu. Hier kocht den Inhaber und der darf singen, pfeifen und ein rockiges Vocal-Solo hinlegen, wann er will. Vielleicht hat er auch den Grand-Prix-Eurovision verschluckt gehabt. Egal. Die Befürchtung, er hätte sich besser auf die Arbeit konzentrieren sollen, war grundlos. Sagen wir so, Kochen kann er besser, und das ist auch gut so. Blöd nur, dass Enten in Rotweinjus gar nicht so gut fliegen können. Zumindest nicht ausdauernd. Das hab ich dann auf der Panoramastraße durch die Savoyer Weinberge an den eigenen Flügeln gespürt. Ganz schön lahme Ente, ich.
Erkenntnis des Tages: Fragenraten ist was Tolles. Kennen sicherlich die meisten. Grad, wenn Du im Ausland unterwegs bist und die Sprache nur ganz rudimentär beherrscht. Dann verstehst Du kaum was, und schließt aus der Situation, was gerade gefragt ist. Fragenraten aus Verzweiflung. Oder du verstehst nichts, und antwortest – höflich wie du bist – auf eine Frage, die üblicherweise gestellt wird. Hat vorhin zu einem feinen Dialog geführt. Ich übersetze. Frau am Kiosk: „Was hätten sie gerne?“ Unbekannter Radler: „Wasser und etwas Zitronenlimonade“ Frau am Kiosk: „Darf es sonst noch etwas sein?“ Unbekannter Radler: „Ich bin aus Stuttgart“ . Manchmal klappt Fragenraten ganz vorzüglich. Aber wenn‘s daneben geht, schauen dich die Leute an, als hättest du was an der Waffel.