16 Jun Motivklingel
Etappe 17, Tourette de France, Isolabona – SanRemo – Imperia, 87 km, ca 1.500 Höhenmeter.
Mit diesen digitalen Dingern, von denen ich eins grad in der Hand hab, kriegst du überall anständige Bilder. Seit Insta und Zeug sind die Ansichtskarten-Fotografen ihre Jobs los. Die sind damals früh morgens aufgestanden, weil klare Luft und morgens wundervoll gerichtetes Licht. Heut knipst du irgendwo hin, filterst du das Trübe weg, ziehst den Kontrast hoch und fertig ist die digitale Ansichtskarte. Weit weg vom Niveau von früher. Aber egal, bei ner durchschnittlichen Betrachtungszeit von zwei Zehntelsekunden, also beim üblichen Durchscrollen der App, kommt‘s auf Feinheiten nicht an. Machen wir auch so. Eigentlich praktisch. Früher, als es sich noch lohnte, den Job zu lernen, haben wir gedacht, alles sei erfunden bis auf die automatische Motivklingel. Aber selbst die gibt‘s inzwischen. Weil Bilderflut. Überall Bilder. Die meisten handwerklich mindestens ordentlich, also du erkennst das Motiv. Und überall dieselben. Da können sogar die Busfahrer gut fotografieren. Die meisten Urlaubsbilder sehen sich so ähnlich wie die Influencer-Spots. Wenn die in ihr digitales Dings sprechen: Gucken alle gleich. Alle Influencer gleich blasiert. Wie Hund und Herrchen im richtigen Leben, gucken auch gleich. Wie Urlaubsbilder von Ligurischen Dörfern. Auch alle gleich. Weil Motivklingel erfunden, sprich Busfahrer. Der hält in Dolceaqua. Da zeigt der Busfahrer auf die antike Brücke, sagt „Aussteigen“ und dann sorum um den Fluss laufen, sagt der Busfahrer, dann schellt am siebten Baum da drüben die Motivklingel, weil Kirche schön im Bild und ekelhafte Baracke vom Giuliano, der seine Landmaschinen dort unterstellt, nicht im Bild.
Das ist jetzt soweit gegangen, dass bei den ligurischen Dörfern der Michl nicht mehr fotografiert, weil sieht alles gleich schön aus. Also wirklich. Bildhübsche Dörfer. Die meisten hoch oben. Bißle wie Hohenzollern, nur als Dorf. Ein Fels und ein paar Quadratmeter reichen. So haben sie angefangen zu bauen. Damals. Und wenn sie weiter gemacht haben, nix Neubaugebiet oder so. Wie in Gündelbach oder Hochdorf. Einfach oben drauf. Also oben mehr Raum und unten schattig. Weil der Vino bei konstanter Temperatur besonders gut haltbar. Durch solche Dörfer wir gefahren. Isolabona, Apricale, Bajardo, Ceriana. Eins schöner wie das andere. Wenn du als Radfahrer nicht in jedem Dorf einen Caffe nimmst, Verbrechen. Foto kannst du dir sparen. Sieht eh alles gleich toll aus. Ob du da leben willst: andere Baustelle. Das ist dann wieder wie Gündelbach oder Hochdorf. Die Dorfleute ähnlich, ob nebeneinander oder übereinander. Nur dass es im Schwäbischen längst nicht mehr in jedem Flecken eine Bar gibt, wo man sich trifft. Und freitagsabends den Ghettoblaster mitbringt und tanzt. So wie neulich in der Bar in Isolabona. Dort solltest du fotografieren. Eigentlich. Aber du hast ja Anstand als Tourist. Du fotografierst nur dort, wo auch der lokale Busfahrer einverstanden wäre.
Eigentlich wollt ich übers Radfahren schreiben. Über das Monument Milano-SanRemo, das in in jedem Jahr die Klassikersaison einläutet. Rund 280 km in sieben Stunden – und am Ende entscheidet sich alles an zwei Hügeln vor SanRemo, an Cipressa und Poggio. Der große G gibt ja auch zu, das wären lächerliche Berge, wenn da nicht die 270 km in den Beinen stecken würde und das Peloton mit 35 Stundenkilometer hochfliegend würde wegen Sprintvorbereitung in SanRemo. Jetzt haben wir 14 Tage in den Haxen, vielleicht gilt das auch. Also weiter: Vor zwei Jahren hat der Matej Mohoric gewonnen. Der ist vom Poggio runtergefahren als wär der Leibhaftige hinter ihm her und Tod an der Mauer angenehmer als vom Leibhaftigen erwischt zu werden. In der letzten Kehre hat‘s ausgesehen, als wollte er direkt ins Wohnzimmer des Hauses reinbrezeln. Aber Kurve grad noch bekommen. Vorsprung durch Technik. Der hatte wie beim Mountainbike einen absenkbaren Sattel. Da hat der Mohoric oben am Poggio auf den Knopf gedrückt, dann ist der Sattel runtergegangen, so fünf Zentimeter, und dann ist der Mohoric besser in der Kurve gelegen – und die fünf Sekunden, die er in der Abfahrt rausgeholt hat, hat er bis zum Ziel in der Via Roma nicht mehr hergeben. Jetzt wir natürlich das Gegenteil vom Mohoric. Das erste mal Stadtverkehr seit zwei Wochen. Da wunderst du dich, weil du den Stuttgarter Verkehr schon fast vergessen hast und der ist eigentlich viel schlimmer.
Erkenntnis des Tages: Wenn du bereits um 11 Uhr nach vier super Dörfern vier vorschriftsgemäße Caffe drin hast, sind deine gebrauchten Beine plötzlich wieder wie neu. Könnt aber auch an den Pausen liegen, die du an dem Bars einlegst, weil du es gegen Ende der Tour langsamer angehen lässt. Oder an den 900 Höhenmetern, die es von Bajardo zum Fuße des Poggio runtergeht. Und alles zusammen, die ganze Blumenriviera, ist dann so schön, da haben wir uns das Fotografieren glatt gespart. Meistens.