28 Mai Marsinhalation
Grenzerfahrung, Etappe 3: Pasewalk – Reitwein 170 km.
Nach runden 120 Kilometern waren wir ganz schön im Eimer. Blöd nur, dass noch weitere 50 auf dem Routenplan standen. Aber heute nichts zu meckern. Super Etappe. Super Rückenwind. Super Oder! Und immer wenn wir im Eimer waren und eigentlich eine einladende Gastwirtschaft gebraucht hätten, dann kam auch eine. Der Michl den Majtes mit Bratkartoffeln und das Mars zum Nachtisch förmlich inhaliert. Der Fisch ist fast am Stück runtergeflutscht. Essen wichtig, sagt der Michl. Dann weiter an der Oder entlang. Weiter und weiter. Bestes Licht am Abend: Gerichtet wie ein Spot, und trotzdem mild und temperiert. Was für ein Licht! Hatte ursprünglich gedacht, diese Oderentlanggurkerei wäre langweilig. Nö. Am östlichen Arsch von Deutschland könntest du 60 Kilometer lang pausenlos in alle Richtungen fotografieren, so schön ist das. Zugegeben, alle sechstausend Fotos würden sich ähnlich sehen. Alle so mit Bilderbuchwolken, sattem Grün und kitschigem Vordergrund. Wurscht. Der Oderkenner schätzt das malerische Detail. Selbst wenn jedes Foto aussieht, wie es kein naiver Künstler mit Harmonieanfall hinbekommen hätte: Egal. Meinen Fotokurs für Anfänger würde ich an der Oder geben. Idiotensicheres Revier. Klare Ansätze von Paradies. Storch und Reh und wir in Lycra.
Gut, kann man auch sagen: Nach Torgelow und Pasewalk kann’s nur schöner werden. Hatte mir gestern das Wortspiel mit dem Platten im platten Land extra verkniffen. Hat aber nichts genutzt. Nach fachmännischer Flickerei dann Ventilbruch beim Pumpen. Doch an so einem Tag bringt uns nichts aus der Ruhe. Im schönen Angermünde sofort ein sympathisches Repaircafé gefunden, das erst einen Monat geöffnet hat. Ersatzschläuche aufgetankt. Easy.
Gibt so Tage, an denen nix wirklich schief geht. Dass wir Silver Rouleure das Programm nicht ohne Zipperlein absolvieren, war trotzdem zu befürchten. Mittlerweile melden sich die Verschleißstellen. Bei Michl quietscht die Achillesferse, bei mir scheuert die Patellasehne. Da kommt echtes Tourenfeeling auf. Radsport hat ja nix mit Talent zu tun. Stattdessen gehört das Leidrn dazu. Etwa so wie die Atemnot, in die man gerät, wenn man den Meerrettich perfekt dosiert hat. Wie gut, dass unsere Telediagnostiker mit hilfreichen Tipps aushalfen. Das erspart es uns, den pensionierten DDR-Dopingarzt zu konsultieren, der uns einen feinen Cocktail in die Muskeln spritzt.
Erkenntnis des Tages: Es kommt meistens anders… Was als Überführungsetappe gedacht war, entpuppte sich als Highlight. Morgen stehen die Oderperlen Frankfurt und Eisenhüttenstadt auf dem Plan. Die Silver Rouleure in Lycra sind bereit für weitere Grenzerfahrungen. Mal sehen, ob das milde Licht von Brandenburg gegen diese Städte etwas ausrichten kann.