Mangrt - Bernd Sautter
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Mangrt

Mangrt

Neues von den Balkanplatten, Etappe 2, Tarvisio – Idrija, 131 km, 2480 Höhenmeter

Wenn es eine Ecke Italiens gibt, bei der du denkst, du stehst im Erzgebirge, ist es Cave de Predil, zu deutsch Raibl. Wegen der Bergwerksromantik – und weil der Ort ziemlich verlassen dasteht. Aber bemerkenswerte Historie: In östlicher Richtung wurde ein 5 Kilometer langer Stollen in den Berg getrieben, entsprechend hat er auch ein langen Namen bekommen: der Kaiser-Franz-Josef-der-Erste-Hilfsstollen. 5 Kilometer deshalb, weil er danach in Slowenien wieder rausgeguckt hat. Das war Absicht. Weil schon vor dem ersten Weltkrieg die italienischen Arbeiter in Italien eingefahren und die slowenischen Arbeiter in Slowenien eingefahren. Das war zu Friedenszeiten schon ungewöhnlich, im Krieg noch mehr. In nur zwei Jahren quetschten sich über 33 000 Züge, fast 450 000 Soldaten und ungefähr 240 000 Tonnen Material durch den Stollen. War ja ein fürchterlicher Stellungskrieg, der als Isonzo-Schlacht in den Geschichtsbüchern steht. Der KFJdEH ist zwar heute noch erhalten, blöd ist nur, dass du nicht durchradeln kannst. Das hätte uns mal ordentlich Höhenmeter gespart. Außerdem hätten wir den wahrscheinlich tiefsten Grenzstein Europa besichtigen können. Der wurde 1947 da unten reingemeißelt. Eine Seite Italien, andere Seite Jugoslawien. Nu gut, die Tunnel, durch die wir später fuhren, hoch zum Mangrt, waren finster genug. Der Anstieg über den Passo de Predil obenrum hat von der italienischen Seite nur runde 200 Höhenmeter. Eigentlich. Kein Ding, dieser Maulwurfshügel, echt nicht.

Dabei wär‘s ja geblieben, wenn sich nicht plötzlich eine Charakterschwäche bei Floff und mir offenbart hätte. Dazu musst du wissen: Gleich nach der Passhöhe zweigt die Stichstraße zum Mangrt ab. So steht’s auf den Schildern. Im lokalen Dialekt. Mangrt, gesprochen Mangart. Das ist die schönste Bergstraße Sloweniens, sagt man. Jetzt ist das Wetter halt erste Sahne und unser Fritz Pogacar natürlich leuchtende Augen. Wohlgemerkt: Das ist eine Sackgasse. Bedeutet: Wenn du nach Griechenland willst, gibt’s mal überhaupt keinen Grund, da 1000 Höhenmeter hoch zu schnaufen und dann wieder rückwärts runter. Außer der Tatsache, dass es wirklich ein Hochgenuss ist. Landschaftlich. Stell dir die schönste Passstraße in den Dolomiten vor, kein Overtourism, dann Kaiser-Franz-Josef-der-Erste-Wetter. Und dann die leuchtenden Augen von Fritz. Vom wegen: Alpinisten- und Radlerverbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn da die Straße auslässt. Kannst nicht machen. Da musst du als Floff und Bernd schon arg charakterstark sein, wenn du auf den ursprünglichen Plan bestehst, da nicht hochzustottern. Dir ist zwar klar, dass du dir wahrscheinlich auf Etappe 2 schon beide Beine ruinierst, die du dir erst in Albanien versauen wolltest. Aber was soll’s. So jung kommen wir nicht mehr zusammen, der Mangrt und du. Also hoch. Natürlich unter Gemecker von den unsportlichen Sätteln, aber hoch. Extra fies: Dann wirst du auch noch am steilsten Stück in eine philosophische Diskussion verwickelt, weil ich dachte, die Sackgasse hätte nur 700 Höhenmeter, aber sie hat halt 1.000. Was wiederum der Alpinist Fritz wusste. Ich aber nicht. Jetzt Frage: Hat Fritz gelogen, weil er meinen Fehler wissentlich nicht richtig gestellt hatte? Weil er ja hoch wollte und es ihm recht war, dass wir dachten, ooch, nur 700 Höhenmeter, geht ja grad noch. Klar, dass der Fritz nicht gelogen hat. Allein schon aufgrund der Tatsache, dass wir das grad dort diskutierten, als es streng monoton 15 Prozent den Berg hochging. Sogar beim Tauchen hätt ich mehr Luft um meine Argumentecsauber vorzubringen. Daher der Ausdruck: steile These. Wenn‘s hochgeht, kannst alles behaupten. Unwidersprochen.

Sagen wir so: Schönheit muss leiden. Wenn ich diesen Tagebucheintrag mit den Zehen tippen müsste, keine Chance, weil Beine kaum noch vorhanden. Aber der 5-Konsonanten-auf-6-Buchstaben-Pass, einfach nur Wow! So dramatisch ist das auch gar nicht, da hoch zu strampeln. Trotz Lamento ging’s eigentlich, wie ich kleinlaut zugeben muss. Blöd halt nur, wenn du hinter dem Mangrt noch fast ne ganze Etappe mit 100 Kilometern zu kurbeln hast. Darauf einen Gipfel-Landjäger. Für alle.

Mit dem Schwung vom Mangrt runter kommst du dann das liebe lange Socatal entlang. Sogar bei Gegenwind. Besonders schön die Stellen, wo der internationale Rafting-Tourismus nichts zu suchen hat. Hinter Tolmin zum Beispiel, da kannst du die Forellen im klaren Wasser im Vorbeiradeln erkennen. Wahnsinn.

Zum Schluss ein wunderschöner Mittelgebirgspass, einsam, grün, aufs Feinste verlassen, nämlich der Oblakov Vrh. Also Vrh! Dem Pass fehlen übrigens nicht nur die Vokale, sondern auch der Asphlt. Vrh heißt übrigens Gipfel. Was bei einen Pss ja auch nicht stimmt. Und ich dachte, das mit den komischen Wörtern geht erst in Albanien los. Hat da grad jemand Krk gemacht? Jaja, schon gut, ich hätte es besser wissen müssen.

Erkenntnis des Tages: In sehr seltenen Fällen muss man tatsächlich froh sein, aus den deutschen Sprachraum zu stammen. Wahrscheinlich sprech ich da sogar für meine Sportskameraden, für den Frtz und den Flff. Euer Brnd.