
28 Aug. Küstenlametta
Neues von den Balkanplatten, Etappe 6, Pag – Biograd, 95 km, 750 Höhenmeter
Keine überaus literarische Etappe. Es gibt nunmal Abschnitte, auf denen du dem Verkehr kaum ausweichen kannst, wenn du dich nicht in tragender Rolle durch den Schilf kämpfen magst. Also rauf auf die Straße und Kilometer bolzen. Soundtrack von heute: MenschMaschine. Ein Segen wenn du so ein Kraftwerk wie Fritz vorne am Zug hast. Der spult die Kilometer entlang der Küste runter, trotz massivsten Gegenwind. Und wenn die Fährmänner nicht so unfreundlich wären (heute wieder zweimal getestet) würde der Fritz auch noch die Fähre tretend beschleunigen. Der Floff und ich heute Windschatten-Passagiere. So brettern wir über die Landstraßen, auf denen wir kaum was zählen, wenn‘s drauf ankommt. Manch gut gespiolten Fahrer interessieren wir überhaupt nicht. Vielleicht gilt das Gebot, an Fahrradfahrern mit Abstand vorbeizufahren, hier in den Fällen nicht nicht, in denen der Überholende mit 110 Sachen von vorne kommt. Argument: Ihr seht mich ja, kurz bevor ich Euch ummähe. Eher so „Ich Balkenmäher, ihr Insekten“ vom Selbstverständnis her. Nicht schlimm alles, wir passen ja auf. Ich erzähle es nur, damit du verstehst: Manchmal vertreibt der Straßenverkehr jeden erhellenden Gedanken, der protokolltauglich über den Jetzt-Moment auf der Landstraße hinaus geht.
Heute bißle Inselhopping. Also Pag – Brücke – Festland – Fähre – Ugljan – Brücke – Pašman – Fähre – Biograd. Ihr könnt mir folgen, oder? Für alle, die im Trivial Pursuit die blauen Fragen wussten, sicherlich kein Problem. Jetzt unter uns: Sooo toll ist diese Inselei auch wieder nicht. Als Radfahrer sag ich: Küstenlametta. Vom Festland aus toll anzuschauen. Aber von der Insel selbst: Wasser wohin du guckst. Und im Falle der dalmatischen Küste: auf mindestens einer Inselseite der sehnsüchtige Blick aufs Festland. Also nach dorthin, wo du hinsiehst, aber nicht hinkommst, wenn du dich nicht in einem Akt der Selbstaufgabe vom Fährmann rumkommandieren lassen willst.
Auf der Karte sieht die Insel-Route übrigens super aus. Wenn du über den Rücken der kargen Insel Pag schnurrst, schaust nach links, wo die Bucht liegt und dahinter steigt das Velebit-Gebirge anderthalb Kilometer senkrecht in die Höhe. Aber das Beste am Morgen nicht die Landschaft, sondern unser spontaner Kaffee bei Iris und Mirabel. Wobei ich nicht verschweigen will, dass der gute Mirabel seit Jahren ein Stück Aufstiegsrasen vom Neckarstadion im Vorgarten kultiviert. Gibt ja manche Erkennungsmerkmale für einen guten Charakter. Nur wenige sind sowas von eindeutig wie dieses Stück Gras. Mit dem gebürtigen Slawonen Mirabel kam endlich Kompetenz in die Frage aller Fragen dieser Reise. Sie lautet: Wo liegt er eigentlich, dieser Balkan? Wo fängt er an, wo hört er auf? Dazu musst du wissen: In Deutschland wird häufig angenommen, der Balkan würde in Slowenien beginnen, weil man der Einfachkeit halber ganz Ex-Jugoslawien zum Balkan zuordnet. Dazu der sachverständige Sportskamerad Mirabel: „Ganz falsch“. Dazu die Slowenen: Der Balkan beginnt erst später, vielleicht in Kroatien. Damals als es noch Habsburg und Preußen gab, dachte man das. Einige Balkan-Reiseführer zählen Kroatien heute noch zum Balkan. Gehört ihr also zum Balkan? “Nein“ sagt Mirabel aus tiefstem Herzen, weil Kroatien im Selbstverständnis niemals Balkan. Da drängt sich langsam der Verdacht auf, dass an der These etwas dran sein könnte, die besagt: Balkan ist immer dort, wo ich nicht bin. Nimm die Griechen: Die liegen ja geografisch gesehen sowas von auf dem Balkan. Weil einfachste Definition: Balkan ist die Halbinsel im Südosten Europas. Aber von wegen. Wir sind doch schon viel älter als der Balkan, empören sich die Hellenen. Außerdem sei es ein Wort aus dem Türkischen, sagen sie, da können wir niemals gemeint sein. Um es abzukürzen: Am Ende einigt man sich auf Nordmazedonien und/oder Bulgarien. Vermutlich nur weil wir niemanden von dort kennen, der widersprechen könnte. Vielleicht versteht ihr jetzt, warum wir so lange strampeln, wir Balkanplatten. Immer auf der Suche nach dem eigentlichen Balkan. Könnt ne Länge Reise werden
Übrigens, nach EU-Definition zählen die Mitgliedsstaaten Slowenien und Kroatien nicht zum sogenannten West-Balkan. Dieser reicht bis Nordmazedonien. Woraus dann der Ost-Balkan besteht, das hat die EU offen gelassen. Sagen wir so: Die Lage ist verworren. Wir bleiben dran.
Erkenntnis des Tages: Hier ganz in der Nähe, am Berg Tulove grede wurde „Winnetou und das Halblut Apanatschi“ gedreht, mit Uschi Glas als Apanatschi. Aber wir haben dazugelernt: Weitere Umwege auf der Suche nach dem Balkan, sind vorläufig gestrichen. 1000 Höhenmeter und 60 Kilometer Umweg, nur weil die junge Uschi Glas dort durch die Kamera galoppierte. Nö! Sollen andere machen. Schon komisch manche Touristen. Was die sich so angucken. Versteh ich nicht. Wir hätten dazu eh keine Zeit, sonst würde es uns zum Fußballplatz der kroatischen Regionalklasse ja niemals reichen.