Kürzer treten - Texter Sautter
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Kürzer treten

Etappe 8, Tourette du France, Bourget du Lac – St.Pierre d‘Albigny, 45 km, ca. 400 Höhenmeter

Uff. Mal kürzer treten nach einer Woche Strampeln. Sonst droht Tourette. Sozusagen Halbetappe flach. Wenn‘s bei uns stimmt, was man den jungen Profis rät, soll man bei einer Grandtour selbst am Ruhetag treten. Damit man im Rhythmus bleibt. Nur 45 Kilometer heute, das fahren wir ja aus der kalten Hose. Sind halt doch 65 geworden. Anruf Hotel nach einer halben Stunde Fahrt. Meine kalte Hose könne ich an der Rezeption abholen. Ähem. Nun ja.

Sonst ein ereignisloser Tag. Willkommene Zeit, kurz übers Schreiben zu schreiben. Radfahren und Schreiben sind näher miteinander verwandt als man gemeinhin annimmt. Nehmen wir die Tour. Henri Desgranges hat sie 1903 erfunden. Desgranges war Chefredakteur der Zeitschrift L‘Auto/Vélo, später L‘Auto, noch später L‘Equipe. Er brauchte Helden, über die er schreiben konnte. Drum hat er eine Frankreich-Rundfahrt organisiert. Auflage steigern. Heute sagt man Marketing dazu. Zehn Jahre später haben die Italiener das kopiert, genauer gesagt die Gazzetta Dello Sport. Wegen deren rosa Papier ist das Trikot des Giro-Führenden nicht gelb sondern rosa. Die Radsport-Geschichte wurde sozusagen von Anfang an mitgeschrieben – und durchs Schreiben angetrieben. Sowas ist gut für jeden Mythos.

 

Bei unseren Etappen fällt mir auf, dass der Sattel zum Schreiben anregt. Wie lange sitz ich teilweise daheim vorm leeren Blatt, also vorm weißen Bildschirm. Wie flutschig flitzt der Zeigefinger übers Handy nach jeder Etappe. Himmelweiterunterschied. Vielleicht, weil ich diese Zeilen nicht nur für die Lesenden schreibe, sondern für den Michl und mich selbst. Wer schreibt, der bleibt. Was vor allem für die Gedanken gilt. Paar Jahre später das Tagebuch lesen, dabei stellt man beruhigt fest: Das meiste ist noch da: die Route, die Stimmung, die Begegnungen, Leichtigkeit oder die Erinnerung, dass die Beine sackschwer waren an diesem und jenem Tag.

So ist dieses Tagebuch entstanden. Eigentlich Diario genannt, weil meine erste Radreise nach Rom führte. Lang ist‘s her. Irgendwie ist es dabei geblieben, beim Diario, dem Schreiben auf Radreisen. Die Einträge sind länger geworden. Teilweise stolpere ich schon im März über einen schreibenswerten Gedanken, von dem ich hoffe, dass ich mich im Juni auf der Tour noch an ihn erinnern kann. Stichwort: Kalte Hose. Was ich übersah, als ich das Diario anfing: a) Aufhören geht kaum. Würde sich unvollständig anfühlen. b) Nein, es geht nicht um „Mein Haus, mein Boot, mein Pinarello“ und nicht um „mein schönstes Ferienerlebnis“. Es geht vielmehr darum die Begeisterung am Radfahren aufzubewahren und zu vermehren. Für uns und für Euch. c) Bon, mit den leisen Vorwurf des Influencerles kommen wir klar. Wir hören ja nach zwei Wochen wieder auf damit.

Erkenntnis des Tages: Immer erfrischend ist die Lektüre des Sportskameraden Dietrich Krauß. Ihr findet seine Reise nach Albanien auf https://woistdietrich.de Großer Schreiber und großer Radler. Weil‘s zusammen gehört. Und ach… weil ein einzelner Leser danach gefragt hatte, meine vergangenen Reisen stecken in die Tiefen meiner Website www.bernd-sautter.de. Da ist auch von der Tourette de France zum Marketing nicht mehr weit. Und die Tagesillus vom Michl kauft ihr eh schon, gell. Und morgen geht’s weiter mit dem Getrete.