Herrlić - Bernd Sautter
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Herrlić

Herrlić

Neues von den Balkanplatten, Etappe 5, Senj – Pag, 80 km, 1100 Höhenmeter.

„Sautters schwankende Schwarte schwitzt, schwächlich schön, in der strahlend starken Schwadria-Sonne“. So flott flofft Faxenmacher Florian Fickel fast fließend forwärts fahrend frei fabulierend for sich hin. Dabei erzeugt er allerlei lustige Geräusche, und wenn man es nicht schon wüßte, würde man von ganz allein drauf kommen, dass er Autor, Produzent und Wasnichtalles ist – halt alles, was mit Hörspielen zu tun hat. Da merkst du auf den ersten Kilometern, dass heute der Schnitt nicht langsamer wird, weil eingerasteter Play-Button beim Hörspieler, also Dauersendung beim Pacemaker. Was wiederum bedeutet: Luft im Überfluss vorhanden.

An der Adria kannst du dich ja kaum satt sehen. Darum heute nochmal ein euphorisches „Herrlić“ im floffigen Permanent-Soundtrack der Etappe enthalten. Was natürlich auf unsere schlecht gegenderte Zusammensetzung verweist: Eine Reisegruppe aus drei Typen einigt sich auf „Herrlić“, was ja dann zusammengenommen dreifach männlich ist, weil „Herr“ und Endung auf -ić. Das ist ja deshalb so weit verbreitet hier, weil es „Sohn von“ heißt. Rund zwei Drittel aller Leute in Kroatien heißen so. Also -ić hinten. Könntest du angesichts unserer Combo fragen: Wer ist denn Euer Gleichstellungsbeauftragter? Andererseits: Unser heutiger Startort Senj und die Burg Nehaj (nach der der Fußballklub benannt ist), da muss man natürlich unbedingt die Rote Zora erwähnen.

Das Jugendbuch „Die rote Zora und ihre Bande“ spielt tatsächlich hier, in Senj. Der Autor Kurt Held hat es 1940 geschrieben, frisch zurück von einer Reise in der Gegend. Die Rote Zora ist ein rebellisches Mädchen das eine Bande Waisenkinder anführt, die sich Uskoken nennen. Die Uskoken bißle wie Robin Hood. Gesetzestreu ist anders. Aber sie halten zusammen. Gegen die Bonzen. Wie das Buch spielt die spätere Verfilmung in Senj. Die Rote Zora wurde in der Folge in Deutschland zu einer Ikone des Feminismus. In den Siebzigern formierte sich eine extrem-militante Gruppe, die sich nach der der Figur des Kinderbuches benannte. Ich wollte das alles nur erwähnt haben, um zu zeigen, was aus einem Jugendbuch entstehen kann so über die Jahrzehnte. Und vielleicht ja auch, weil man beim Floff nie sicher sein kann, ob nicht 85 Jahre nach Kurt Held eine weiterer Plot hier geboren wird, der Geschichte macht.

Bis es soweit ist, cruisen wir auf Halbhöhenlage die Küste entlang. Ein schöner, aber dünn besiedelter Abschnitt. Mehr parkende Wohnmobile als Häuser. Welliges Auf und Ab, eigentlich rollendes Terrain, zu Radlers Paradies fehlt leider die freundliche Espressobar. Drum bin ich echt froh, als wir vor der Fähre rüber nach Pag stehen. Fähre heimlicher Pflichtbestandteil auf meinen Routen, weiß auch nicht warum. Vielleicht um das einzige Vorurteil zu überprüfen, das garantiert immer stimmt. Immer. Immer. Immer. Es lautet: Fährmänner lachen nie. Grundsätzlich nicht. Internationales Gesetz. Wenn du als Fährmann mal aus Versehen lächelst: Kündigung. Wenn du selbst einen Witz machst: Berufsverbot. Elbfähre in Sachsen-Anhalt, Flussfähre in Franken, Rheinfähre bei Karlsruhe. Schickimicki-Fähre über den Comer See nach Bellagio. Du kannst als Kunde alle Dienstleister anlächeln und du kriegst ein freundliches Lächeln zurück. Nur nicht auf der Fähre. Das einzige Wort, das du hörst ist eine Zahl und das Wort „Euro“. Dann wirst du mit ausdrucksloser Mine eingewiesen. Die haben immer eine Laune, als müssten sie zehnmal am Tag Chris de Burghs „Don’t pay the ferryman“ hören. Jeden verdammten Tag zehnmal. Auch auf der Pag-Fähre nichts Neues, also weit und breit nichts zu lachen. Nirgends. Ist doch auch mal schön, wenn die Welt nicht aus den Fugen gerät. Auf die Fährmänner ist Verlaß.

Erinnerst du dich noch, wie ich gestern gewarnt hatte, dass man keine Etappe auf die leichte Schultern nehmen sollte? So nach dem Motto geht ja schnell, ist ja nicht viel, nur noch ix Kilometer, die schaffen wir ja locker. Das gilt auch für Mittagspausen. „25 Kilometer, schaffen wir ja locker,“ sagte einer am Mittagstisch. Da wusste der noch nicht, dass uns eine feine Gravelpassage die Strecke versüßt, und dass der sein Rad einen abgerutschten Hang hoch und wieder runter tragen darf, weil der Gravelweg an dieser Stelle eindrucksvoll weggespült. Sagen wir so: Ich glaub nicht, dass diese Minuten mal Eingang in ein Hörspiel finden werden.

Erkenntnis des Tages: Wo ein Wille ist, ist auch ein Trampelpfad, über den man die Räder tragen kann. Die Beobachtung, dass dabei meine Schwarte geschwitzt hat, trifft allerdings vollumfänglich zu. War trotzdem herrlić, sich auf dem schmalen Streifen zwischen Berg, Schilf und Adria voran zu kämpfen.