Heimatfilm - Texter Sautter
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Heimatfilm

Heimatfilm

Bergerfahrung, Etappe 3, Hopferau – Hinterriß, 115 Kilometer, ca. 1.300 Höhenmeter.
 

Perfektes Timing. Knapp vor der dicken grauen Wolke noch unter den Sonnenschirm gehuscht. Gepflegtes Restaurant-Café aus dem Bilderbuch. Eis mit drei Kugeln. Erdbeer, Vanille, Schoko. Sahne obendrauf. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Übliche Nachmittagsdiagnose: akuter Unterzucker. Feinste Torten in der Auslage, wie es sich gehört, unterm Karwendel an einem Pfingstsonntag. Einer dieser Momente, an dem du keinen Fehler findest. Perfekte Dienstleistungsfreundlichkeit des Obers. Sehr freundlich, aber ohne jede Anwanzattitüde. Der Expresso für die Boyz gehaltvoll. Unter den Gästen viele Einheimische – sogar in Tracht. Hab ja ein gespaltenes Verhältnis zu dieser Kostümierung. Grundsätzlicher Natur. Wegen der verbreiten Volks- und Oktoberfesterei. Kann man ja machen, ist halt ne andere Form von Fasching. Gibt schlimmeres. Zum Beispiel das, was in solchen Großeventindustriefesten für Musik gehalten wird. Von den Texten ganz zu schweigen. Dann lieber zehnmal hintereinander Wilde Maus. Aber jetzt, gegenüber vom Karwendel, auf der Terrasse vom Restaurant Café Barmsee, da passen alle und alles zusammen. Am großen Tisch die einheimische Herrschaften alle in Tracht. So muss das sein, hier an diesem Ort, bei den Mädels und Burschen, die keinen Zweifel daran lassen, dass sie in genau dieser Tracht geboren wurden. Runde volle Gesichter, keine Modebärte, sondern Bärte. Auch kein hipper Lederhosen- oder Dirndlkontest. Einfach die Tracht des Ortes. Nichts weiter. Weil das so ist an Pfingsten. Hier wo‘s nicht mal aufgesetzt wirken würde, wenn alles so wäre wie im Fünfzigerjahre-Heimatfilm.

Ein Tal weiter spielt „Der Jäger von Fall“. Von Ganghofer geschrieben. X-mal verfilmt vor dem Krieg, nach dem Krieg, nochmal und nochmal. Und nochmal. Man würde der gegenwärtigen Terrassengesellschaft unrecht tun, wenn man vermuten würde, sie wären gerade auf Drehpause. Man muss ja feststellen: In Ganghoferfilmen ist ja Dauerpfingsten gewesen. Die Darstellerschaft fast permanent in Sonntagshäs. Außer dem Dorftrottel natürlich. Trotzdem will ich nichts gegen Heimatfilme gesagt haben, hier im Herzen der Deutschen Heimatfilmgegend. Die Ganghoferstreifen hier gedreht worden sein. Damals, als man Filme noch drehte, wo sie in echt spielten. Und nicht mal ein Hinweis auf den Original-Drehort. Kein Heimatfilm-Tourismus rund um Fall, den Flecken, aus dem der Jäger stammt. Auch nicht in Hinterriß, wo Teile der 74er-Version des Jäger von Fall gedreht wurden. Der Heimatfilm-Tourismus steckt noch in den Kinderschuhen. Das notiere ich am Vorabend der Entdeckung durch die retro-faszinierte Insta-Generation. In unserem Hotel in Hinterriß. In einem wirklich sehr abgeschiedenen Tal, in dem du dich nicht wundern würdest, wenn der Blasi, der Lenzl oder die Modei gleich zur Tür herein spazieren würden. Komische Namen hatten die Ganghofer-Figuren. Damals.

Der feine Ober vom Terrassencafé verabschiedet uns mit dem Wunsch „Möge der Heilige Geist über Euch kommen“. Da wusste ich nicht sofort, ob das nicht ne Drohung ist. „Ach, der kann sich Zeit lassen“ hätt ich fast gesagt. Weil ich ja heut in Hinterriß ankommen wollte und nicht im Himmel. Aber alte Regel: Erst googeln, dann goschen. Der heilige Geist über mir kassiert mich nicht ein. Er gibt mir Kraft. Guter Geist. Kompliment, Herr Ober. Kann ich brauchen. Danke auch auf diesem Wege.

Im krassen Gegensatz dazu steht allerdings die leckere Erdbeer-Buttermilchtorte, die ich mir an Ort und Buffet freiwillig ausgesucht hatte. Die hat eher Kraft gekostet, auf sämtlichen restlichen Kilometern. Hilft zwar zuverlässig gegen Unterzucker, führt aber zu anderen Problemen. Buttermilchtorte ab sofort auf dem Index. Die geht im Bauch auf wie Hefeteig, mit der Folge, dass du dir mit jeder Pedalumdrehung das Bein in den Bauch rammst. 20 Kilometer lang. Rechts, links, zweimal pro Umdrehung. Die Buttermilch setzt sich übrigens im Oberschenkel fest, dort, wo vorher ein Muskel war. Buttermilch on Tour. Und bitte, wie doof muss man sein, also ich? Das von Sportlern gefürchtete Laktat, das sich in den Muskeln bildet, ist doch nichts anders als Salz der Buttermilchsäure. Und ich bestell das zum Kaffee! Mannmannmann.

Wer an dieser Stelle vermutet, dass unter Umständen auch die sieben Nürnbergerwürstle oder das leckere Sauerkraut vom Mittag meine Formdelle ausgelöst haben könnten, liegt allerdings komplett daneben. Das Kraut hab ich samt und sonders in Biogas umgewandelt. Das hat exzellent antrieben, ich muss das wissen, bin ja ganz vorne dabei in Fragen der Sporternährung. Nur noch ne Frage der Zeit, bis es Sauerkrautextrakt als Quetschgel gibt, das von Nestlé als hippe Sportlernahrung vertrieben wird.

Erkenntnis des Tages: Neues Detail zu einem alten österreichischen Phänomen, dem Griasdi- Servus-Komplex. Der geht so: Wenn ich in Österreich fachmännisch Griasdi grüße, immer zurück Servus. Wenn ich Servus vorlege, dann Griasdi retour. Griasdi gibt Servus. Servus immer Griasdi. Nie anders. Österreicher unter sich: Immer gleich. Griasdi gibt Griasdi. Und Servus gibt Servus. Aber bei Servus genau hinhören. Manchmal wird das Retour-Servus ohne Vokale gesprochen. Also nur Srvs. Werde die Tage mal in einer Form von inkompetenter kultureller Aneignung mit Srvs eröffnen. Mal sehen, wie das ausgeht. Ich halt Euch auf dem Laufenden.