Gegenrichtung - Texter Sautter
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Gegenrichtung

Gegenrichtung

Bergerfahrung, Etappe 11, Lana – Pramajur, 76 km, 1500 Höhenmeter

Wir wollen alle fortfahren, wenn wir reisen. Nicht nur der Weg gilt als Ziel. Das Ziel selbst auch wichtig – und eher selten ist das Ziel identisch mit dem heimatlichen Wohnort. Rundreisen ausgenommen. Da gondelt man ja meistens kreuz und quer durch eine bestimmte Destination. Was ich meine: Wenn jemand eine Reise ans Nordkap macht, fliegt die Person selten dort hin und kämpft sich mit dem Reisemittel seiner Wahl zurück nach Hause. Wer von zu Hause aus einen Jakobsweg läuft, immer in Richtung von zu Hause weg, nie zurück. Meistens führt die Reise weg. Das Zurück ist eher ein lästiger Bestandteil. Niemals der abschließende Höhepunkt.

Apropos Jakobsweg: Wer pilgert schon rückwärts? Vielleicht eine Marktlücke, das Retourpilgern. Wie hört sich das an? Das Seniorengrupetto als Revolutionäre Retourpilgerei. Aber so waschecht bekommen wir es nicht hin. Schließlich sind wir zu Hause aufgebrochen. Trotzdem kann man heute bei uns deutliche Zeichen von Retourpilgerei erkennen. Erstens: Die heutige Etappe führt uns in die Gegend des Reschenpasses. Mal ehrlich, das hätten wir direkter haben können und eine Woche kürzer. Dreieinhalb Tagesetappen von Stuttgart hätten locker gereicht. Zweitens: Heute viele Radler in Gegenrichtung unterwegs. Die wollen halt alle eher fort als zurück.

Unser Weg nach Pramajur folgte dem fein ausgebauten Radweg vom Reschen nach Vicenza und Venedig. Nur andersrum. Alle lokalen und internationalen Reisenden kamen entgegen. Fast alle deutschsprachig, im Übrigen. Klar, wenn man als italienischer Reisender fortfahren will, startet man selten am Reschen, um nach Venedig zu kommen. Wer aus Österreich, Deutschland, Schweiz oder anderswo kommt: Das ist es einleuchtender, zumal es fein bergab geht. Es darf auch festgestellt werden: Der Radweg ab Knick des Vinschgau-Tales ist fein für Bergabtouristen angelegt. Tolles Wellenreiten ist das. Wer in Gegenrichtung fährt, hat mit stolzen Rampen zu kämpfen. Da hat jemand das E-Bike mitgedacht. Der dauernde Gegenverkehr hat auch einen großen Vorteil: Du siehst das Wetter in 30 Minuten ganz genau. Alle Flatterfrauen und -Männer fest eingepackt in aktueller Regenkleidung. Klar, dass wir nicht trocken davon kommen. Aber Regen im Anstieg geht gut. Gerade heute nicht schlimm. Wir steigen ab in einem feinen Hotelleriebetrieb mit Aussicht und vertrauten Michl-Luz-Motiven an den Wänden. Ehrensache für uns. Der Künstler kommt geradelt. Heute in seiner sagenhaften Erscheinung als tropfenden Gestalt. Massage willkommen. Wenn ich es am Zustand meines Körpers ablesen darf: Es erscheint verdient und sportmedizinisch angezeigt. Der Inhaber des Hotel sammelt übrigens feine klassische Rennräder. Alle anderen Gründe hierher zu kommen, zähl ich jetzt nicht auf. Feine Reiseziele soll man am besten selbst entdecken.

Erkenntnis des Tages: Der E-Bike-Boom beschäftigt zunehmend für Bergwacht. Nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, aufgrund von Stürzen. Tatsächlich bemerken manche Bikerinnen und Biker, dass sie sich nicht mehr trauen runter zu fahren, wo sie zuvor hochgefahren waren.

Pramajur
Bei Laatsch
Gluons
Lost playground Vinschgau