Furztrocken - Bernd Sautter
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Furztrocken

Furztrocken

Neues von den Balkanplatten, Etappe 3, Idrija – Osilnica, 101 km, 1320 Höhenmeter

Guckst du auf unsere Route des Tages, fragst dich vielleicht, ob wir jetzt einen auf Jesus machen. Von wegen übers Wasser gehen. Schon abwegig, wenn du laut deinem Navi 10 km durch den See radelst. Nicht, dass du jetzt denkst Tretboot. Wir cruisten quer durch den Cerkniško jezero. Zwar genügend Vokale im Namen, aber kaum Wasser im Sommer. Tendenz: furztrocken. Dieses Slowenien ist wirklich sowas von hübsch, grad am ersten Tag nach Regenwetter. Jetzt nicht spektakulär, sonst wär ja die Touristenhölle los. Aber einfach schön, gespickt mit skurrilen Einfällen der Natur. Zum Beispiel diesem Karstsee, der im Winter runde 30 Quadratkilometer groß ist und sich im Sommer nach unten verpisst. Und zwar komplett. Andererseits muss man zugeben: Wenn du sommers nicht wüsstest, das da winters das Wasser steht, wär’s halt ein schlechter Feldweg wie jeder andere miserable Feldweg auch.

Also Slowenien jetzt. Unser Einfallstor in die Jugosphäre. Das ist ja das Schöne am Radeln. Der fließende Übergang. Nicht Flieger und hinter der automatischen Schiebetür des Flughafengebäudes: Batsch, andere Welt. Auch nicht Auto, drei herkunftslose Rasthöfe, vier Zahlstellen und dann auch: Batsch, andere Welt. Sondern Radeln. Alles gaaanz langsam. Baaaaaatsch. Slowenien ja eher Jugo für Anfänger. Butterweiches Eintauchen ins Andere. Du musst wissen: Die Slowenen eher wohlhabend, haben damals Jugoslawien ordentlich durchfinanziert, zu Titos Zeiten. Der reiche Norden, der arme Süden. So haben das nicht nur die Slowenen gesehen. Amtlich ist: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf war in Slowenien glatt doppelt so hoch wie in Gesamtjugoslawien. Jetzt warum waren dann die Restjugoslawen so doof, ihre Schatzkammer einfach so in die Unabhängigkeit zu entlassen, nach nur 10 Tagen Krieg? Ganz einfach, weil ihnen nichts anderes übrig blieb. Weil Serben vs. Kroaten viel größeres Problem. Und in der Jugo-Armee waren halt noch viele Kroaten und andere Leute aus anderen Landesteilen vertreten, die sowieso nicht gegen die Slowenen kämpfen wollten, weil viel größeres persönliches Problem: Will ich meinen Hintern überhaupt noch für die Jugo-Armee hinhalten? Für alle Radler erklärt: Slowenien ist praktisch im Windschatten unabhängig geworden. Eher so: „Wenn zwei sich streiten“, grob vereinfacht. Slowenen also ziemlich abgezockte Leute. Respekt, muss ich schon sagen. Haben sich über die Jahre relativ unauffällig verhalten, jetzt relativ, und als die Chance da war: 1990 Reformbewegung, Wahlen, 88 Prozent im Referendum für die Unabhängigkeit und 1991 raus aus den Schlamassel. Kaum 35 Jahre später: Super Straßen, noble Gorenje-Kühlschränke und vierfacher Tour-de-France-Sieger. Kann man so machen. Zugegeben: Mit den Kroaten gibts noch ein kleines Problem. Wegen den paar Kilometer Küstenstreifen Sloweniens. Geht um den ungehinderten Zugang zu internationalen Gewässern. Den wollen die Kroaten nicht gewähren. Aber als wir vorhin von Slowenien nach Kroatien und wieder zurück: Keine Menschenseele in den Grenzhäuschen, die man erst in den Neunzigern aufgebaut hatte. Und im Grenzfluss hier, wird geraftet wie wild. Da steht kein Grenzer am Ufer, weit und breit nicht.

Mal abgesehen von Routen, die durch Seen führen: Ziemlich rollende Straßen hier. Teilweise als so frisch geteert würde morgen die Tour de France vorbeikommen. Da hatte der Floff gleich Verve in Oberschenkeln. Idrija, 9.00 Uhr. Floff sitzt. Und kurbelt. Im Wind. Wie Tim Declercq, den sie im Peloton den Traktor nennen, weil er wie ne Maschine den Wind zur Seite pflügt. Oder wie Nils Politt, einer der wertvollsten Helfer von Pogacar. Mein lieber Herr Radsportverein, das ging mal gut los heut morgen. Da musst ich schon die fiesen Tricks auspacken, um das Tempo wieder auf mein Niveau runter zu ziehen. Erster Schachzug: Schotterfeldwege in die Route einbauen. Ging schief, weil der Floff mit Gravelracer am Start, praktisch in die eigenen Waden gebissen. Zweiter Schachzug. Experimentelle Bestellung zu Mittag. Auf Nachfrage was das unverständliche Gericht denn sei, wurde eine Minestrone mit bißle Fleisch versprochen. Aber hallo! Wenn dir jemand in der Jugosphäre bißle Fleisch verspricht, kriegst du erstmal einen ganzen Lappen lecker Kassler hingeknallt. Bevor du den allerdings anschneiden kannst, stellt dir die freundliche Servicekraft einen halben Eimer Gemüsesuppe unter die Nase, bei der die Extra-Fleischbrocken noch das wenigste ist, das deine Verdauung auf den nächsten 50 Kilometer beschäftigt. Ich sag nur Kraut und Bohnen. Mein lieber Herr Geräuschverein, da war Abstand halten angesagt. Das mit dem sanften Eintauchen nehm ich sofort zurück, zumindest was unser Bad im der Gemüsesuppe betrifft. Und siehe da: Was gestern noch locker den Mangrt raufgepacet ist, schleicht am Nachmittag in der kleinsten Übersetzung über die südslowenischen Bodenwellen. Also ich. Damit wäre bitte das weitere Reisetempo letztgültig definiert. Hab ich schon erwähnt, dass ich gar nicht so gut Schach spielen kann?

Erkenntnis des Tages: Bereits zweimal in drei Tagen habe ich Trockenseifenspender in Toiletten vorgefunden, also diese Apparate, bei denen man unten an einem waagrecht liegenden Schiffssteuerrad kurbelt und dann sehr wenig Seife rausrieselt. Kaum zu glauben, dass die Flüssigseifenspender wirtschaftlicher sein sollten. Was hab ich schon Leute beobachtet, die sich mit so viel Seife die Hände gewaschen haben, dass du denkst, gleich lassen sie sich den Rest des Inhalts für Zuhause einpacken. Drei Tonnen Seife, aber nur drei Sekunden waschen, oder so ähnlich. Obwohl… wenn ich ehrlich bin, hab ich heut auch vor lauter Freude am nostalgischen Kurbeln ein paar Umdrehungen mehr hingelegt, als notwendig waren. Wenn du diese und andere dringenden Probleme des täglichen Alltags erschöpfend diskutiert haben willst: Fortsetzung folgt. Morgen in Etappe 4.