Finales Pathos - Bernd Sautter
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Finales Pathos

Finales Pathos

SCHWATZIERFAHRT, Etappe 15, Osteno – Milano, 120 km, 1000 Höhenmeter

Jetzt endlich das Wichtigste:

Herzlich willkommen zur Ausstellung

Luz zeichnet Michl malt

Rathaus Remshalden

Vernissage am 24. Juli, 19.00 Uhr

Der große Künstler beschäftigt sich im Rahmen der Ausstellung vor allem mit Cycloklassizismus und Veloimpressionismus. Die einführenden Worte spricht ein Sportskamerad, der aus diesem Tagebuch bekannt sein dürfte.

Selbiger Sportsnerd gönnt sich eine Schlussetappe mit aufgedrehtem Pathosfaktor. Während der Künstler seinen verdienten Caffè bei Mimmo in der Bar verkostet, surfe ich auf den Straßen entlang der Lagi di Lugano e Como. Feine Belohnung für die Strapazen: Wenn du 14 Etappen in den Beinen hast: Vespa Hilfsbegriff. Der zweite Caffè des Tages wird in Como gereicht: im Laden der empfehlenswerten Schneiderei Sartoria Ciclista, wo es neben bunter Radbekleidung allerlei stylischen Krimskrams zu erwerben gibt. Der Chef ist durchaus kunstverständig. Ein Kalender eines Stuttgarter Fahrradkünstlers hat er ebenfalls im Sortiment. Michl grüßt am Kassentresen. Bravo. Im Gegenzug trägt der Künstler die stylisch quietschbunten Klamotten aus der Sartoria. Als Nerd könnte man Stunden im Laden verbringen, aber als Nerd wollte ich ja auch ein entsprechendes Finale zelebrieren, nur halt in Milano. Also weiter geht’s. Problem (äh, Herausforderung) dabei: Wie überall herrscht gerade eine Hitze aus der Hölle. Klassischer Teufelskreis. Fährst du, geht‘s eigentlich, Fahrtwind halt. Allerdings sollest du Pausen einlegen. Dann ist aber der Fahrtwind weg – und echter Schatten für die Pausen kaum vorhanden. Also fährst du. In meinem Fall bis nach Bregnano in die Trattoria Rocky Bar. Da sitz ich in meinem salzkrustendekorierten Raddress unter lauter ehrlichen Handwerkern beim Menu del Lavoro. Lecker! Zumal ich wie durch Zufall im Home of Como Calcio Fanclub gelandet bin. Über diesen Hip- und Glamour-Verein könnte ich auch einen längeren Artikel schreiben. Aber ich besinne mich. Die viele Pleiten und Skandale bilanziere ich erst, wenn es ins Heft-Konzept des hochverehrten Zeitspiel-Magazin passt. Unter uns: Die Ausgabe #39 erscheint in Kürze, darin auch ausführliche Texte von mir zum Schwerpunkt-Thema „Kultstätten“.

Das mit dem Finale Pathos ist letztlich um ein Haar komplett in die Hose gegangen. Ich will in die legendäre Arena Civico in Milano. Dort endete die Schlussetappe des ersten Giro d‘Italia im Jahr 1909. Pro…. Herausforderung bei meinem persönlichen Giro-Finale: Irgendeine als privat erklärte Business-Veranstaltung findet gerade statt. Ich scheitere am Eingang zum Napoleon-Saal an einem Einlassposten ebenso wie in der Curva, wo ich an einem Polizisten der lokalen Behörde abpralle. Aporops… Napoleon und Sport – wie passt das zusammen? Sind doch verschiedene Epochen, oder etwa nicht?

Als Napoleon (ja, genau der Bonaparte) Anfang des 19. Jahrhunderts plötzlich für Milano verantwortlich war, gab er eine Arena in Auftrag. Brot und Spiele halt. Der Architekt baute ein Amphitheater nach römischen Vorbild. Die Arena Civico gilt als älteste Sportarena Italiens, die noch in Betrieb ist. Die Arena ist natürlich kein Amphitheater mehr, das erwies sich bald als ungeschickt für die Sportarten der Moderne. Aber die Haupttribüne mit Napoleonsaal ist trotz der frühen Umgestaltung perfekt erhalten. Schön gepflegt sogar.

Eröffnet wurde die Arena Civico mit einer standesgemäßen Seeschlacht im Jahr 1807. Das war damals total in. Die Quellen berichten, dass von rund 130000 Mailänderinnen und Mailänder rund ein Drittel in der Arena dabei waren. Heute kaum vorstellbar, so eine Stadion-Seeschlacht. Die Arena ist vielleicht das einzige existierende Stadion, das man fluten konnte. Der Architekt hat dafür eigens einen Kanal angelegt, mit dem man soviel Wasser in die Arena leitete, dass ein paar Bötchen genügend Wasser unterm Kiel hatten. Außerdem wurden Kriegsschiffe en miniature nachgebaut, damit die Seeschlacht-Show an Land wenigstens halbwegs authentisch daher kam. Große Fische wurden ausgesetzt, die als Wale verkauft wurden. Vermutlich handelte es sich um Delphine. „Naumachien“ nennt man diese inszenierten Seeschlachten. Gar nicht so unüblich in den Zeiten, in denen die Leute noch keinen Sport trieben. Heute gibt‘s ja Leistungssport. Und manchmal ist der auch inszeniert und mit Schlachten-Pathos überhöht. Unter anderem, weil solche Typen wie ich schwülstig darüber schreiben. Wenn wir schon beim Thema sind.

Die alten Radhelden soll man in diesem Zusammenhang unbedingt würdigen. Als der erste Giro dort sein Finale fand, gewann der Maurer Luigi Ganna (der übrigens nicht mit dem großen Pippo Ganna verwandet ist). Das Rennen ging über 8 Etappen, mit Napoli als südlichstem Punkt. Radrennen war tatsächlich die erste moderne Sportart, die man in der längst umgebauten Arena veranstaltete. Heute gibts dort vor allem Leichtathletik. Praktisch für Groundhopper: Ein unterklassiger Club trägt seine Heimspiele in der Arena aus. Am Ende meiner Reise stehe ich nun im Napoleon-Saal, weil das Wachpersonal offenbar vergessen hatte, die Eingangstür zu schließen, an der ich vor ein paar Minuten noch scheiterte. Also los. Ich trete leise, versuche das Klacken der Klicker meiner Rad-Pömps so gut es geht zu vermeiden. Als Leisetreter schwebe ich in den ersten Stock durch den stattlichen aber leeren Napoleonsaal. Majestätischen Schrittes trete ich raus auf den riesigen Balkon, auf den Napoleon die Seeschlacht entgegen nahm. Ich grüße nach links in Richtung Michl, den ich zum Nachmittagscaffè in der Bar in Osteno vermute. Dann werde ich entdeckt und höflich des Napoleon-Balkones verwiesen. Eine livrierte Eskorte bringt mich nach draußen. Schwatzierfahrt Finale. Mehr Pathos geht nicht.

Liebe Mitradlereinnen und Mitradler: Danke! Danke! Aber auch Danke!

Fürs Mitlesen, fürs Anfeuern, für Dabeisein. für Emojis und Ermunterung. Schön, dass ihr uns zwei Wochen lang weitgehend sinnbefreites Strampeln gegönnt habt. Ein besonderer Dank geht zuallererst an meinen formidablen Hausarzt und Kardio-Spezialisten Jürgen Neitzel, der mir nach der Tour des letzten Jahres den Arsch und noch mehr gerettet hat. Ohne seine diagnostische Geistesgegenwart hätte mein grandioser Sportskamerad Michl seinen Astralkörper in goldener Badehose in anderen Kontexten präsentiert. Ich bin tief dankbar, dass ich in diesen Momenten postavantgardistischer Körperkultur, Meilensteinen der performanten Kunst, live und in Farbe dabei sein durfte. Es war mir eine Ehre, die bahnbrechenden Aktionen des Pedalkünstlers zu protokollieren. Kiki und Rita müssen nun mit unseren Schwärmereien von der Schwatzierfahrt leben. Herzlichen Dank, nicht nur dafür.

In eigener Sache darf ich ankündigen: Es geht weiter. Wenn alles läuft, wie es laufen soll, geht’s im Spätsommer auf eine Tour quer durch den südlichen Balkan. Die Leistungssportler a.D. Fritz und Floff absolvieren gerade ihr Höhentrainingslager innden Straßen rund ums Esslinger Jägerhaus. Wer online dabei sein will: herzlich gerne. Via soziale Netzwerke – oder via WhatsApp-Nachricht oder Signal-Broadcast. Schickt mir einfach eine formlose Meldung, irgendwie, ich nehm Euch in den Verteiler auf.

Michl und meinereiner sagen „Salve!“ Habt einen wundervollen Urlaub. Wir sehen uns in Remshalden.