Durmitor - Bernd Sautter
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Durmitor

Durmitor

Neues von den Balkanplatten, Etappe 13, Foča – Zabljak, 98 km, 2.800 Höhenmeter.

Wie ehrlich kann man eigentlich sein – oder ist das schon doof von mir? Vermutlich letzteres. „3.000 Euro“ antworte ich wahrheitsgemäß auf die Frage der bosnischen Zollbeamten, die wissen wollten, wieviel mein Rad gekostet hat. Und als ich die dumpfe Antwort formulierte, überlege mir im selben Moment, sprich: zu spät, ob die jetzt für den Grenzübertritt gleich ne saftige Gebühr verlangen. Also zehnmal soviel als sie ursprünglich dachten. Fünf Zoll-Beamte machen draußen Pause. Einer schafft im Häuschen und scannt die Persos ein. So ist die Schichtverteilung. Eine Einheit schaffen. Fünf Einheiten Pause. Vom teuren Rad aus sieht das nach gemütlichen Job aus. Sei jedem gegönnt. Obwohl angeführt werden darf, dass das Dreieineinhalb-Millionen-Einwohnerland Bosnien die höchste Amtsträgerdichte der Welt hat. Am anderen Ende der Pyramide zählt man vier Präsidenten, 13 Regierungen und

173 Minister. Die Verwaltung frisst knapp die Hälfte des Wirtschaftsaufkommens. Die kopflastige Struktur ist Folge einer Verfassung, die 1995 innerhalb von nur drei Wochen in den USA entstand. Die Präsidenten von Bosnien-Herzegowina und seiner verfeindeten Nachbarländer Kroatien und Serbien mussten sich auf einen Kompromiss einigen und schufen, um Konflikte zu vermeiden, zahlreiche autonome Einheiten. Der Staat funktioniert trotzdem kaum. Wegen der Top-Bürokratie unter anderem, aber vermutlich auch, weil sich viele Leute mit dem bosnischen Staat kaum identifizieren. In der Herzegowina sah ich die ersten zwanzig Kilometer nur kroatische Flaggen, selbst in Sarajevo kaum bosnische. Im serbischen Teil fiel mir die Flagge Bosniens erst wieder an der Grenze auf. Alles kein Zufall. Bosniaken, Serben und Kroaten gönnen sich gegenseitig überhaupt nichts. Auch nach 30 Jahren nicht. Die bestialischen Kriegsverbrechen sind kaum aufgeklärt. Nichts geht vorwärts. Nirgends. Alle sind schon froh, wenn irgendwie Ruhe herrscht.

Andererseits kannst du natürlich auch den Spieß rumdrehen und meckern, warum man (auch ich) Bosnien immer nur mit Krieg in Verbindung bringt. Also immer. Nicht falsch verstehen bitte, ich meine es nicht im Sinne von verdrängen. Aber wenn einer über Bosnien schreibt, dann nie wegen der einzigartigen Natur, der Gastfreundschaft und den spektakulären Sonnenuntergängen. Sondern immer Ärger, ethnischen Ärger, weltpolitischen Ärger. Und warum sollen die Bosnier auf der Drina nicht hundertundeins Rafting-Camps hochziehen, wenn sich damit Geld machen lässt? Und obendrein wär mehr Tourismus ein Gewinn, nicht nur wegen der Einnahmen, sondern weil dann mehr Leute das Land kennen und wahrscheinlich lieben lernen. Ach, manchmal kannst du auch als Protokollant nichts richtig machen. Drum ab ins Alltäglich. Oder Überraschende.

Muss man ja nicht bei der Bosnien-Tourismuswerbung nicht verraten, dass wir gleich am Morgen einen kritischen Moment hatten. Da hat sich der Floff sehr eindrucksvoll die Lippen geleckt. Danach. Du musst nämlich wissen: Wenn du 20 Leute fragst, wie man sich als Radler vor Hundeangriffen schützt, kriegst du 30 Antworten. Eine davon war ziemlich lustig. Den Hund angucken und mit der Zunge über die Lippen fahren. Das würde funktionieren. Jetzt sagen wir so: Dazu war mal überhaupt keine Zeit, als die dreckigen Viecher vom Rafting-Camp rausgesprungen kamen und volle Kanne auf uns los. Weil mir das vor kurzem in Italien passiert ist, bin ich ja tollwutgeimpft. Und ihr glaubt’s vielleicht nicht, aber das Impfen hat echt was gebracht. Weil: Wenn du die Drecksviecher mit Selbstbewusstsein geimpft anguckst und dabei laut schwäbisch fluchst, das hat die beiden Köter echt beeindruckt. Wie gesagt: zur Lippenesoterik sind wir nicht gekommen. Aber nach der ersten Fronterfahrung würd ich sagen: Keine weiteren Experimente. Wir bleiben erstmal bei der mutigen Kampfansage nach dem Motto: Du dreckiger Hund, du bist hier nicht der Einzige, der dumm kläffen kann.

Kommen wir also zur Hauptsache der heutigen Etappe. Bühne frei für die Tara-Schlucht und Durmitor-Gebirge. Standen ja heute satte 2.800 Höhenmeter auf dem Plan und das war dann doch kein Kartierfehler der Planungsapp. Mal ehrlich: Sowas Grandioses wie heut bin ich noch nie gefahren. Wir kamen uns vor, als wären wir durch eine endlose Foto-Tapete gecruist. 360 Grad Traumschlucht. Kannst du nicht beschreiben. Du könntest an jeder Kurve anhalten und fotografieren. An jeder! Wir haben nur an jeder vierten gehalten, trotzdem sind unsere Cloudspeicher randvoll mit Aufnahmen. Und als du dich grad daran gewöhnt hast, dass die Welt einfach schön ist, zeigt dieser eine Wegweiser direkt in den Fels hinein. Das ist die Abzweigung zur vielleicht schönsten Gebirgsstraße der Welt: Hoch zum Durmitor Sedlo. Info für die Beine: Erst steigt die Straße serpentinig aus der Schlucht. Jede Serpentine in den Stein gehauen, spricht Tunnel. Nach 800 Höhenmeter erreichst du eine wellige Hochebene, die du schöner nicht malen kannst. Beine aber nur kurze Pause. Dann kommt der Teil, bei dem du dich nicht entscheiden kannst, was intensiver ist: die Schmerzen in den Waden oder das Stauen über die spektakulären Wände unter den Gipfeln des Durmitor. Unter dem Gebirgsstock geht’s über mehrere kleine Sättel, bis die eigentliche Passhöhe den Blick frei macht auf die nächste gütige Hochebene. Bevor ich mir hier einen abreche mit Superlativen zitiere ich den Fritz, der als Alpenvereinsaktivist als besonders sachverständig gelten darf. Der sagte: „So einen Pass, der wirklich alles hat, hab ich echt noch nie gefahren“ Und das Beste: Der Durmitor Sedlo hat maximal Feldwegsbreite. Nicht dass du denkst: Großglockner-Hochalpenstraße. Nix da. Voll schönes geschwungenes Mini-Sträßchen. Einfach mal 38 Kilometer alle Facetten, die ein Gebirge haben kann. Inklusive wildem Gaul in schwarz. Als nicht wild im Sinne von unberechenbar. Eher tiefenentspannt hinter der Kehre. Und weißt du was: Wilder Gaul, da kannst du das Lippenlecken mal üben, wenn du willst. Weil der steht auf der Straße, als ginge ihn alles überhaupt nichts an. Ab-so-lut re-gungs-los. Der war mal yogamäßig ganz in sich drin. Mein lieber Herr Meditationsverein. Salzsäule der Reinheit, der schwarze Brummer. Und lustig: Von dem Gaul hab ich schon in einem Blog gelesen. Und ich würde wetten, der steht immer noch an der selben Stelle.

Erkenntnis des Tages: Egal, was Du beim Recherchieren über die Strecke Dir zusammen googelst, chattest und perplext: Es gibt Königsetappen wie heute, das übersteigt all deine Vorstellungskraft. Inklusive der Story vom Pferd.