
03 Juni Dönerschuld
SCHWATZIERFAHRT, Etappe 6, Excenevex – Le Grand Bornand, 75 km, 1450 Höhenmeter
Schön langsam grooven wir uns ein. Wenn du Etappen fährst, musst du ja drauf achten, dass du am Ziel noch ein paar Körner übrig hast. Immer an morgen denken, gell. Vor allem, wenn du meinst, du müsstest durch die Alpen fahren. Herausforderung dabei: Trotz allen leistungsdiagnostischen Hilfsmittel hat‘s noch niemand fertig gebracht, eine Restkraft-Anzeige in den Körper einzubauen. Da sind die E-Bikes im Vorteil. Da kannst ständig ablesen, wie voll der Akku noch ist. Außerdem gibt’s die Unterstützungsanzeige. Da kannst du einstellen, wieviel Power du vom E-Motor haben willst. Bei manchen Fabrikaten symbolisieren Kerzen diesen E-Schub. Solche Kerzen haben wir nicht. Was wir tun, nennt man neuerdings Bio-Cycling. Bei uns kommt die Kraft aus Salat mit warmem Ziegenkäse, Filet Mignon oder lecker Tatare. Und genau an dieser Stelle wird’s anspruchsvoll. Du darfst ja nur soviel essen, dass es der Körper noch in Energie umwandeln kann. Natürlich könnt man jetzt sagen, ihr Trotteln, esst doch nur Bananen, Riegels, Gels und Kohlehydrate-Zeugs. Doch im Angesicht von französischen Speisekarten ist das keine gute Idee, finden wir. Also muss jede Mahlzeit sauber austariert werden, wieviel der leckeren Nahrung wir vertragen, damit die Energie daraus, auch dorthin kommt, wo sie hingehört: Am Bauch vorbei direkt in die Beine.
Jetzt täglich bange Frage: Wie viel Prozent der Bio-Energie ist noch drin im Körper? Das weiß du halt nie. Oder erst dann, wenn‘s zu spät ist. Beim Etappenfahren solltest du es so einrichten, dass noch rund 20 Prozent im Bio-Akku ist. Wobei die genau Prozentzahl natürlich von der Inhaberin oder Inhaber des Bio-Kraftwerks abhängt. Da fehlt auch im Körper eine Anzeige für. Klar hast du ein Feeling. Du merkst ja, wenn nix mehr geht. Aber genau dann, wenn du das merkst, hast du längst verkackt. Zusatzproblem, wenn‘s einen Pass hoch geht: Natürlich wird dein Tritt schwerer und schwerer. Doch du weißt halt nie: Ist das jetzt der Steigung geschuldet oder geht dein Akku leer? Apropos Berg: Die meisten E-Autos rekuperieren, wenn‘s den Berg runter geht, da lädt sich der Akku durch die Umdrehungen wieder auf. Auch sowas, das es bei Bio-Radlern wie unsereiner nicht gibt. Im Gegenteil: Kommt auf der langen Abfahrt ein Gegenhang, ist das mit Abstand der Moment größten Aua. Wegen kalter Muskulatur und Laktat und Trägheit und was nicht alles. Von wegen Rekuperation.
Du kannst das drehen und wenden wie du willst: Du weißt nie genau, wieviel noch in dir drin steckt. Ich erinnere mich an eine super-launige Trainingsfahrt, schönes Wetter, schwäbische Alb, super Flow. Plötzlich fahr ich an einem Dönerstand vorbei und denke: „Mann, jetzt ein Döner, das wär‘s!“ Und siehst du: Das ist der Moment, an dem du als Radler längst verkackt hast. Jetzt nichts gegen Döner, vor allem nicht als VfB-Fan. Aber wenn du auf dem Rad Lust auf Döner bekommst, ist dein Akku längst im roten Bereich. Selbst wenn du dich zu Bananen statt dem heiß ersehnten Döner zwingst. Du bist zu spät dran. Je weniger drin ist im Akku, desto langsamer baut sich das wieder auf. Egal wie du es nennst: Dönerschuld, Schnitzelschuld oder Weinfondueschuld. Wenn du deinem Körper was schuldest, ist’s zu spät. Da kannst du schlecht argumentieren, dass der Körper selber schuld ist, er hätte ja deutlichere Signale senden können.
Darum Oberwasser immer heikel beim Strampeln. So wie heute auf den ersten anderthalb Alpenpässen. Als Finale kurbelten wir die Gorges du Pont du Diables hoch. Kein steiles Ding, aber lang. Mann, da schnurrten die beiden Bio-Motoren. Kaum Autos. Schlucht nicht nur schön, sondern auch angenehm frisch. Und von hinten schiebt dich eine deutlich Luft genau dorthin, wo du eh hinfahren willst. Da denkst du fast, irgendeiner hätte dir einen Akku mit drei Kerzen in die Beine gebastelt. Und genau dann, wenn du das denkst, also Oberwasser, dann pass auf. Bloß nicht überpacen jetzt. In unserem Fall hat das Oberwasser nicht lang gehalten. Weil „Route Barré“ an der engsten Stelle der Schlucht. Ach drum fuhren da so wenig Autos. Also anderthalb Stunden warten, bis die Herren Baumfäller die Straße wieder freigegeben. Da hat der Michl gleich einen Powernapp genommen. Danach Restkraft-Anzeige wieder 1A.
Erkenntnis des Tages: Oberwasser ein tolles Bild für Energie. Wenn das Wasser von oben aufs Mühlrad fließt, hat es nämlich ordentlich Power. Unterwasser ja irgendwie immer doof. Nicht nur an der Mühle.