Betonpilze - Bernd Sautter
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Betonpilze

Betonpilze

Neues von den Balkanplatten, Etappe 20, Permët – Papigko, 83 km, 1630 Höhenmeter

Nein, mit der Überschrift sind nicht wir gemeint, mit unseren Helmen. Dazu später. Zuerst mal sei betont, dass ich mich nicht erinnern kann, wann mir Regen auf einer Radtour so piepegal war. Zugegeben, ohne Regen werden die Fotos besser. Rein radlerisch gesehen hast du nur das Problem, dass du unterm Regencape mehr schwitzen musst als ohne. Wir cruisen durch den Süden Albaniens, das Vjosa-Tal entlang. Eine Gegend, die durchaus Schlagzeilen gemacht hat in den letzten Jahren. Am Ende sogar positive. Weil das Tal als einer der letzten großen komplett naturbelassenen Wildflüsse Europas, mit all seinen Nebenflüssen zum Nationalpark erklärt wurde. Das war 2023. Also keine 38 Wasserkraftwerke, die alles zerstört hätten. Stattdessen Tourismus – immer noch die sanftere Lösung. Vor allem Rafting. Erkenntnis dieser Tour: Rafting ist ein ganz großes Ding. Überall Raftingcamps. Meistens mit kleinen Häusle, Campingground, Restaurant und manchmal Pool. Rafting ist der Copyshop des Tourismus. Oder liegt es daran, dass wir unabsichtlich alle Boot-Hotspots des Balkans auf unserer Tour aufgereiht hatten. Da könnte was dran sein.

Die Vjosa gehört zweifellos zu diesen Hotspots. Mehr als zehn Jahre lang hatten lokale und internationale NGOs für die Vjosa gekämpft, auch Leonardo DiCaprio und die Outdoor-Marke Patagonia haben sich mit Prominenz und Geld ins Zeug gelegt. Natürlich wäre Albanien nicht Albanien, wenn man an manchen Stellen den Naturschutz nicht postwendend durchlöchern würde. Aber das mag ich jetzt nicht erörtern. Zu angenehm war der Abend in Permët, im Hauptort des Tals, um sich ins Hin und Her der Politik zu vertiefen. Wir haben uns das Funky Guest House am Hauptplatz geschnappt, direkt gegenüber vom Sitz der PS (Partia Socialiste e Shqipërise 1991), das ist die Regierungspartei. Es ist halt schwer, Permët zu beschreiben, ohne politisch zu werden. Denn städtebaulich weist vieles auf alte sozialistische Bausubstanz hin. Dabei fällt mir auf, was ich hier im Land verpasst habe. Hätte wetten können, dass wir an mindestens einem von Hoxtas Bunker vorbeifahren. Vielleicht sind wir es auch, und ich war gerade zu sehr mit Strampeln beschäftigt. Du musst wissen: Diktator Hoxta hatte multipel einen an der Waffel. Spätestens ab 1972 war ihm völlig klar, dass Albanien bald angegriffen werden, von wem auch immer. Also ließ er Bunker bauen. Die Dinger sahen aus wie Betonpilze. Ziel Hoxtas war es, für je vier Albanerinnen und Albaner einen Bunker bereit zu stellen. Davon war er wohl entfernt. Rund 170.000 graue Betonpilze waren es am Schluss – und ich bin an allen achtlos vorbei gefahren. Aber so ist das auf nasser Straße. Da solltest du nicht spazieren schauen, sonst fitzt‘s dich hin. Immer hübsch auf die Fahrbahn gucken. Erfolgsrezept schwacher Ausdruck.

So ist das halt mit der Konzentration auf‘s wesentliche und zack: bist du in Griechenland. Unser Ziel liegt hoch oben über der Vikos Schlucht. Papigko heißt das kleine Dorf, das am Ende einer wunderbaren Sackgasse liegt. Bergfahrers Träumchen, weil moderate Steigung und 15 Sepentinen auf den ersten 2 Kilometer bergan. Jetzt muss ich was zugeben. Von der Vikos-Schlucht wird überall geschwärmt und zwar zurecht. Ein Riesending ist das. Bombastisch hoch. Bis zu einem Kilometer tief in die Landschaft eingeschnitten. Und wir? Schauen komplett begeistert – und denken klammheimlich: vielleicht grad noch ein Treppchenplatz auf dem Ranking der Naturerlebnisse unserer Tour. Und da siehst du mal, was das Wetter ausmacht. Als wir die letzte große Renommierbergwertung unserer Tour absolvieren ist der Himmel bedeckt. Also, gib uns bitte einen Tag, weil morgen sind die Wolken weg. Dann bekommst du an dieser Stelle eine total objektive Hymne über Schlucht, stolz präsentiert vom wunderbaren Licht der Morgensonne. Man kann‘s nicht leugnen: Je länger die Reise geht, um so vorhersehbarer werden wir.

Erkenntnis des Tages: Wenn du ein paar Tage auf Instant-Kaffee gesetzt wirst, und dann wieder einen feinen, frischen Kaffee bekommst: Aber hallo!