02 Jun Adelheidquelle
Etappe 4, Tourette de France, L‘Isle sur les Doubs – Salines les Bains, 115 km, ca. 1.900 Höhenmeter
Kurze Unterbrechung des Tagebuchs für eine private Geschichte. Es geht um dem Michl sein Opa. Der wurde in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs noch von den Franzosen aufgegriffen. Lange verschont, weil er eigentlich schon viel zu alt war. Aber halt ein patenter Kerl, konnte was in der Landwirtschaft. So einen kann man brauchen. Der kann prima helfen. Also ab nach Frankreich mit ihm, genauer: in einen 200-Seelen-Weiler namens Lomont-sur-Crête. Also gelaufen. Nichts Zug. Von Asperg ins französische Irgendwo gelaufen. Dort hat er lange Monate geholfen. Weit weg von zu Hause, wo er eigentlich viel dringender gebraucht wurde. Gut, dass er heile wieder zurück gekommen ist. Gibt schlimmere Schicksale. Und trotzdem: Die Passage durch Lomont-sur-Crête für uns Pflicht. Wobei man sagen muss: Viel gesehen haben wir nicht. Einige Bauernhöfe, eine Kirche, eine Dorfmolkerei und viel Wasser. Halt wie überall dieser Tage. Viel zu viel Wasser. Einige Jahre nach Kriegsende hat Opa Friedrich den kleinen Flecken nochmal besucht. Da haben sie ihn alle geherzt, den „Frederik“. Und der Michl weiß jetzt, wie es da aussieht. Familyhistoriesightseeing. Man fühlt sich halt irgendwie näher dran, wenn man selbst am historischen Ort war. Selbst wenn‘s in Strömen geregnet hat.
Und jetzt Tagebuch: Bei Monsum, Unwetter, Trübnis, Liebeskummer und anderen unsommerlichen Umständen hilft nur eines: bodenständiges Essen. Am besten Fett. So eine Boite chaud gibt dem Leben wieder Sinn und dem Radler Richtung. Das ist ein Teller mit Hausmannskost und einer feinen Schale flüssigem Comté Käse. Grad wenn du tropfst vor Nässe und beim Auswringen Deiner Socken ein halber Liter rauskommt, dann hilft ein Steak in rahmiger Pilzsoße. Also jetzt im Gegensatz zu ner Banane, Energie-Gel oder Kraftriegel. Das Sportlerzeug kannst du vergessen. Das ist was für Dünnhäutige. In solchen Wetterlagen hilft nur Fett. Und ein Pflaster vor dem Mund der selbsterklärten Ernährungsberater. Stabiles Essen wirkt nämlich psychologisch. Kann ja auch süß sein. Zum Beispiel ein Fondant du chocolate. Ein schwarzer Kringel, der aus fettem Schokozeugs gebacken wurde und eine megafette Schokosauce drin hat. Eierlikörspritzer auf dem Teller nicht vergessen. Derlei Herz- und Herzhaftigkeiten brauchst du, wenn das Leben grad kein Ponyhof ist. So kannst du der Malaise etwas Gutes, etwas sehr Gutes abgewinnen. Wir haben das heut vorgemacht. Eigentlich ein sportmedizinischer Langzeitversuch. Wir sind das lebende Beispiel. So geht Wiederauferstehung: bodenständig, üppig und fett.
Versüßt wurde der Pisswettertag zusätzlich von einem Platten, den wir unterm Vordach einer winzigen Butze am Rand des Radwegs erstversorgten. Und was soll ich sagen. Zehn Minuten später wurde uns von der freundlichen jungen Dame die Tür geöffnet. Weitere 10 Minuten später hatten wir eine heiße Tasse Kaffee in der Hand. So bogen wir wieder ins Tal des Doubs, dem vielleicht einzigen Fluss Europas, bei dem mehr als die Hälfte der Buchstaben nicht gesprochen werden. Aber traumhaft dort. Imposante Felslandschaft. Dort, wo keinen tiefen Wolken hängen.
Also ultimativer Ratschlag für Tourenradler: Nicht auf die Wetter-App schauen, sondern auf die hilfreichen Teller. Die Wetter-App lügt. Der Fonduekäse bringt dich nach vorne. Klar wabert dir der flüssige Comté beim Treten durch die Waden. Das Fett muss erstmal abgebaut werden. Aber was ist die Alternative? So ein chemisch aromatisiertes Gel, das nirgends ankommt, weil es gleich hinter dem Gaumen wieder den Rückweg antritt? Nein. Radfahren ist nichts für Magersüchtige. Und das Leben ist manchmal nichts anderes als eine lange Radtour.
Erkenntnis des Tages: Wenn du durch den Regen an einer frisch gedüngten Wiese vorbeifährst. Am besten bergauf, damit du tiefer atmest, nicht nur durchs Näschen. Und dir dann das Regenwasser in den offenen Mund reinregnet. Das schmeckt original wie Adelheidquelle.