Von weitem schön - Bernd Sautter
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Von weitem schön

Von weitem schön

Neues von den Balkanplatten, Etappe 17, Tirana – Elbasan, 60 km, 1.100 Höhenmeter

Jetzt bitte nicht beschweren – und ich gleich gar nicht. Wir wollten Balkan. Jetzt stecken wir mittendrin. Schließlich haben wir auf den ersten Etappen gelernt, dass Balkan kein geografischer Begriff ist, sondern eine Zustandsbeschreibung. Müsst ich‘s im Duden definieren, würd ich formulieren:

Bal|kan, der: Karstgebiet im Südosten Europas, von weitem wunderschön, aus der Nähe zum Himmel stinkend.

Damit mein ich nicht nur das Müllproblem, das du als Radler auf keinem Meter ignorieren kannst. Weder mit Auge und noch mit Nase. Der Fall des Hoxta-Regimes mag möglicherweise für die Menschen was gebracht haben, für die Natur nicht. Vermutlich ist die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Landschaft schon unter Hoxta entstanden. Nicht, weil die Leute was weggeworfen hätten, was damals aus Mangel an Gebrauchsplastik sowieso nicht ging. Sondern weil Hoxta einer größten Verbrecher war, den man sich vorstellen kann. Eines der hässlichen Erbstücke des Diktators sehen wir auf der Abfahrt vom Krabbë-Pass, der uns vom Becken von Tirana rüber zum breiten Talbecken von Elbasan führt: Es ist das riesige Stahlkombinat namens „Stahl der Partei“. Das Horror-Areal ist nicht mal von weitem schön. Der Sportskamerad Hardy Grüne, dessen Buch ich unten verlinke, zählt auf: „47 Kilometer Eisenbahnstrecke, 22 Straßen, 520 Gebäude, 12.000 Beschäftigte“ und berichtet: Das Kombinat war „eine ideologische Umerziehungsschule für den sozialistischen „Neuen Menschen“ und sollte die konservative und rückständige Landbevölkerung in klassenbewusste Proletarier verwandeln. […] Was „Metalurgjiku“ zweifellos hinterließ, war eine auf unabsehbare Zeit zerstörte Umwelt. „Stahl der Partei“ war der größte Umweltverschmutzer Albaniens. Atemwegserkrankungen, Krebs, missgebildete Babys, Tiere mit zwei Köpfen, ein bis heute mit Schwermetallen hochgiftig verseuchter Boden – der Preis für den Fortschritt war hoch. Und er wird natürlich vom Volk bezahlt. Bis zum Bau des Kombinats war das Shkumbin-Tal ein ertragreicher Obst- und Gemüsegarten.“

Man traut sich kaum zu beschreiben, welch wunderbare Landschaft man vom Krabbë-Pass unter sich hat. Genau das mein ich: von weitem schön, aus der Nähe oft fürchterlich. Gilt übrigens auch für Radfahrer. Wenn du denkst, man könne es auf einer albanischen Straße rollen lassen, irrst du dich. Was zwischen dem Müll Asphalt sein soll, rattert, scheppert und rüttelt in einem fort. Aber Straßenoberflächen gehören gewiss zu den minderen Problemen hierzulande. Krabbë-Pass selbst übrigens 1A Asphalt. Die erste Etappe des Giro d‘Italia führte in diesem Jahr darüber. Dann geht sowas. Aber nur dann.

Trotz Pass blieb unser heutiges Pensum überschaubar. Uff. Anspruchsvoll war vor allem aus Tirana rauszukommen. Erst landeten wir im Stadtstau, dann ging’s durch‘s VIP-Viertel und danach durchs kommende Bonzenviertel. Ein ganzer Hang, ich schätz mal doppelt so ausgedehnt wie der Killesberg: Nur Neubau. Hillside Residence, Flower Residence, Longhill Residence, Collina Verde, Green Village, Forest Residence – ein Riesenprojekt am anderen. Wo das Geld herkommt, ahnen wir inzwischen. Wer das alles kaufen soll, oder später darin wohnen, das können wir uns nicht vorstellen. Meine dringende Vermutung: Das sind riesige Geldwaschanlagen. Handwerker und Material kannst du bequem ohne Rechnung bezahlen. Und wenn die große Projektrechnung nicht aufgeht, steht der Rohbau halt rum, wie so viele Bauten hier, bei denen du nie sicher bist, ob sie schon mal fertig gestellt waren oder schon davor verfallen sind.

So ist halt der Balkan. Das Blöde ist nur, das inzwischen die ganze Welt balkanisiert wird. T‘schuldigung für den harmlosen Ausdruck. Ein paar Kilometer nach den 1001 Immobilienprojekten fahren wir an der saudiarabischen Botschaft vorbei. Die hohe Betonmauer begleitet uns fast einen Kilometer. Warum ich das erinnere, hat mit der Fascho-Insel zu tun. Die heißt Sazan und ist ein kleines unschuldiges Inselchen vor der albanischen Küste. Gar nicht groß. Mussolini, der Fascho-Urvater liebte sie und baute dort ein Haus, das er als Rückzugsort herrichtete, falls das mit Faschismus schief ging. Ging schief. Enver Hoxha übernahm die Insel nach der Rückgabe durch Italien und machte das Inselchen zu einer von der Außenwelt isolierten Militärbasis. Heute will Familie Trump die Insel Sazan in einen Bunker für Millionäre, Luxusvillen und atemberaubende Ausblicke verwandeln. Jared Kushner, Trump nixnutziger Schwiegersohn wird investieren, im Hintergrund mit den Mitteln eines saudiarabischen Staatsfonds. Kushner und Edi Rama, albanischer Präsi in der vierten Amtszeit, kennen sich gut. Naturschutz: egal. Moral: wasistdas. Wenn die Milliarden wenigstens bei den Leuten hier ankommen würden. Tun sie aber nicht. Kassieren werden höchstens die Investoren, die Korrupten und die Mafia.

Erkenntnis des Tages: Da siehst du mal, wie Radfahren gute Laune macht. Immer dann, wenn wir nur überschaubare Etappen haben, also wenig radfahren, komm ich hier im Tagebuch auf Abwege und Abgründe. Dabei war von Dieter Nuhr noch gar nicht die Rede. Fazit: Albanien ist nach Hoxta leider auch ein typisches Balkanland geworden: von weitem schön.