
03 Sep. Stop and Go
Neues von den Balkanplatten, Etappe 12, Sarajevo – Foča, 68 km, 840 Höhenmeter
Sogar der Fritz ist jetzt mürbe, am Ende dieser harmlosen Etappe. Kennt ihr den ikonischen Cartoon von Charlie Brown, auf dem er allein auf dem Schlaghügel steht mit einer Regenwolke über ihm? So sind wir heute dagestanden. Über dem gesamten Balkan kaum eine Wolke. Außer über uns. Viermal sind wir losgefahren. Und viermal hat‘s die Wolke gemerkt. Die hat sich kaputt gelacht über uns. Holzstadel, Vordach, Anarcho-Bar, Bushaltestelle – überall sind wir heute rumgestanden. Und ein paar Kilometer gefahren. Und wieder rumgestanden. Am lustigsten war natürlich die Bar. Drei Stehtische am Straßenrand, ein Kiosk-ähnlicher Verschlag aus den Country-Blues rausdröhnte, mehrere Flaschen angebrochener Schnaps, halber Kasten Bier, eine Kaffeemaschine, merkwürdige Deko, eher Harley-Style, ein einziges Chaos hinterm Tresen. Keine Menschenseele weit und breit. Niemand. Zugegeben, es goss in Kübeln. Eigentlich ein Wetter, bei dem du keinen Radler vor die Tür jagst. Wer soll da schon kommen? Als Barista kannst du dich da schon verzupfen. Wir also hinter den Tresen, weil‘s nur da trocken war. Praktisch mitten im Chaos. Und siehe da. Nach ner halben Stunde erscheint der Chef. Großes Hallo. Chef gleich an die Kaffeemaschine. Amtlicher Espresso. Der Chef leider nicht gut in Englisch oder Deutsch. Aber Holländisch-flämisch-Deutsch ging. Weil er während des Bosnien-Krieges in den Niederlanden Zuflucht gefunden hatte und seine Tochter bis heute dort lebt. Bißle schräg, der Herr, das gehört dazu bei interessanten Leuten. Ökonomie hat er studiert sagt er, und mit dem Zustand der Welt ist er nicht verstanden. „Tschigaretten, 26 Euro, Diktatüüür“, schimpft der Chef. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man zur Ungleichverteilung des Wohlstand unbedingt den Preis der Rauchwaren hernehmen sollte. Egal. „Diktatüüür“, meckert er weiter, noch ein paarmal und erklärt uns einige Minuten lang, was alles falsch läuft in der Weltwirtschaft. Ein paar seiner Gedanken würd ich nicht unbedingt unterschreiben. Aber egal. Nicht die beste Idee, auf semi-flämisch an einer bosnischen Landstraße bei Regen in eine wirtschaftspolitische Grundsatzdiskussion einzusteigen. Also lassen wir das. Wie zur Bestätigung scheint plötzlich die Sonne. Also weiter, zumindest so lange, bis uns die Wolke wieder eingeholt. Keine paar Meter später halten wir an einem freundlichen Restaurant. Sonne scheint. Der Besitzer ist sowas von servicebeflissen, dass es längst zu viel ist. Wir speisen fein. Der Besitzer scheint gleich noch ein paar „Super“ hinterher. Sein Restaurant heißt „Good times“ Englisch kann er kaum. Außer „super, super, super“. Seine Rechnung ist auch super für ihn. Ich würde schätzen, dass er sich relativ gut mit den ökonomischen Rahmenbedingungen auseinander gesetzt hat.
Abgesehen von den paar Sonnenminuten nicht unbedingt ein Tag in Glanz und Gloria, aber kann nicht jede Etappe Lametta umhängen haben. Kurz nach dem Mittagessen seh ich große Schilder am Straßenrand, die uns in der Republik Srpska willkommen heißen. Wir betreten die serbische Zone Bosniens – und was soll ich sagen.m: Anderes Bosnien. Kaum noch Minarette. Viele Friedhöfe. Keine großen, lauter kleine. Gedenksteine mit langen Totenlisten, dekoriert mit der serbischen Flagge, nicht der bosnischen, wohlgemerkt.
Du musst nicht viel vom Bosnienkrieg verstehen, damit du bemerkst, das hier irgendwas anders ist, unter anderem noch mehr verlassene Häuser als in den anderen Landesteilen.
Da kannst du auch als deutscher Touri-Radler nicht locker drüber hinwegschreiben. Srebrenica ist nicht weit. Auch in unserem Etappenort Foča wurden alle muslimischen Männer umgebracht und die Frauen systematisch vergewaltigt. Milosevic wollte Groß-Serbien – und der Rest sollte ausradiert oder radikaldemoralisiert werden. 33 Jahre ist das her.
Wir haben eine kleine Hütte bezogen, ein paar Meter tiefer fließt die Drina. Ein paar Einheimische bieten Rafting an. Die überlebende Bosniakin Halida Uzunović (als bosniakisch wird der muslimische Bevölkerungsteil bezeichnet) nennt
im Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung die Tiefen des Drina-Flusses „das größte Bosniaken-Grab des Landes.“ Sagen wir so: Urlaub muss nicht jeden Tag lustig sein.
Erkenntnis des Tages: Weiß nicht, ob‘s nur mir so geht. Wenn du ein Bild von der Gegend hast – was du beim Radeln definitiv bekommst – rückt das Gute wie das Grausliche nochmal näher an dich ran. Aber wenn ich ehrlich bin: Auch darum sind wir losgefahren.