
31 Aug. 10.000 Euro
Neues von den Balkanplatten, Etappe 9, Omiš – Imotski, 65 km, 1.250 Höhenmeter
Wir haben den Balkan gefunden. Hier ist er, in Imotski. Spätestens. Keine Zweifel: Kroatien gehört zum Balkan. Aber der Reihe nach, an einem Tag, den du dir vom ersten Tritt aufs Pedal einrahmen kannst.
Die Schlucht beginnt bereits in der Stadtmitte von Omiš, praktisch direkt am Strand. Finstere Tunnel führen uns durch riesige Felsen. Hier mündet die Cetina in die Adria. Das wunderschöne Landsträßchen wird am Sonntagmorgen nur aus zwei Gründen befahren. Die Kleintransporter bringen Raftingtouristen an ihren Ausgangspunkt. Die PKWs suchen in Kučiče einen Parkplatz. Vor den beiden Cafés des Örtchens staut sich sogar der Verkehr. Was offenbar daran liegt, dass die Gäste ihren Kaffeeplausch schon beim Einparken beginnen. Sonntag, 10.00 Uhr am Morgen. Wo sollst du sonst sein als in der Cafébar? Wir sparen uns den eigenen Kaffee für nächste Kaff. In dieser Zwischenzeit geht mir das Herz auf. Weil Kroatien aus dem Bilderbuch. Karstlandschaft, kleine Dörfer, ursprüngliche Landschaft, hilfsbereite Menschen. Wetter noch frisch. Aber die Wolken lösen sich auf. Geht nicht besser als Radfahrer. Vielleicht feiere ich insgeheim auch die Abwesenheit der Küste. Tut mir leid, doofe Angewohnheit von mir: ich komm mir als Reisender in touristischen Regionen stets vor wie ein Konsument. An Orten ohne touristische Infrastruktur fühl ich mich dagegen als Gast. Depperte Haltung, ich weiß. Schließlich gehört Tourismus zum echten Leben. Zumal an der dalmatinischen Küste. Auf ganz Kroatien gerechnet wird mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts mit Tourismus generiert. Der spielt sich nunmal oft an der Küste ab. Mein Problem liegt wahrscheinlich daran, dass sich die Menschen, die mit Tourismus Geld verdienen wollen, logischerweise an den Touristen orientieren. Mit den Angebot in ihren Läden, mit ihren Vergnügungsangeboten, mit ihren Speisekarten, mit allem. Das machen sie gut in Dalmatien, wie anderswo auch. Ich bin lieber in einen normalen Kaff. Zum Beispiel in Imotski. Mein Problem. Ich weiß schon.
Für Fritz anderes Problem. Leider wieder nur ne Halbetappe. Der ist inzwischen unterradelt. Aber das gibt sich. Morgen. Imotski musste heute als Etapoenort sein, unbedingt. Und das hat nichts mit Schwaben zu tun, nichts damit, dass hier weltweit die größte Mercedesdichte festgestellt wurde (8000 Mercedesse auf 10000 Einwohner). Es gibt ein Mercedes-Denkmal in der Stadt. Es hat auch nichts damit zu tun, dass das Stadtzentrum herausgeputzt ist. Falls du dort bauen willst: Die Kommune gibt dir drei verschiedene weiße Steine zur Auswahl, andere Fassaden baust du besser nicht, sonst baust du ganz schnell wieder ab. Andere Fensterläden als grüne machst du auch nicht dran. Ist zwar frech von der Kommune, wirkt aber. Sieht schön aus. Auch ganz putzig: Im Straßenzug rund ums Ortszentrum gibt‘s (geschätzte) 17 Cafébars. Und alle sehen irgendwie gleich aus, was wiederum am Ensembleschutz liegt. Die Cafés liegen unmittelbar nebeneinander. Wenn du an einem Sonntagmittag Appetit hast, dein Pech. Stadt ohne Mahlzeit. Aber weißte was: Ist mir um so viel lieber als Tourismus. Ey, kommen und gleich essen wollen, mal Ansprüche zurückschrauben, die Herren Radtouristen. Fahrt halt zurück an die Küste, wo ihr hergekommen seid.
Jetzt warum Imotski? Wegen drei Kratern mitten in der Landschaft. Der Krater des roten Sees ist der tiefste. Der Fachbegriff heißt eigentlich Doline. Das bedeutet: Im Karst ist eine Höhle gewesen und die Decke ist eingestürzt. Also nichts Vulkanisches. Sie etwa so aus, als hättest du einen riesigen Zylinder aus der Landschaft rausgeschnitten. Bei der Doline des roten Sees schätzt man, dass sie tiefer geht als der Meeresspiegel. Vom oberen Rand bis zum Grund des Sees geht‘s mehr als 500 Meter runter. Wir waren am blauen See. Eine etwas kleinere Doline, auch mit Wasser gefüllt und mit dem großen Vorteil, dass ein Weg runter führt, der Kaiser-Franz-Joseph-der-Erste-Weg. Jetzt ohne Schmäh. TagebuchleserInnen ist der Kaiser bereits auf der Etappe 1 über den Weg gelaufen. Eine männliche Sissy, die taucht auch alle Nase lang wieder auf.
Man muss schon zugeben. Im blauen See zu schwimmen, in einem klaren Pool, der rundrum 200 Meter hohe Felswände hat. Once in a lifetime. Ganz allein war ich allerdings nicht. Allein unter Wasserläufern. Allerdings so viele wie Adria-Touristen, ungefähr. Um präzise zu sein: Wasserläufer, gemeine Rückenschwimmer (eine Art Wasserwanze) und Taumelkäfer. In der Dusche hab ich festgestellt, dass es im See danach etwa zwanzig Tiere weniger geworden sind. Welche Art ich genau aus den Haaren gewaschen habe, wollte ich gar nicht wissen. Überleitung: In den seltenen Fällen, in denen der blaue See trocken fällt, wird ein spontanes Fußballspiel ausgetragen. Wirklich. Es gibt Bilder davon.
Also Fußball jetzt. Im dritten Krater ist ein Stadion. Die kleinste Doline wurde vor rund vierzig Jahren eingeebnet. Wo vorher ein unbedeutender Pinienwald war, liegt nun eines der schönsten Stadien der Welt. Bespielt vom NK Imotski. Eine Doline mit Tribünen an zwei Seiten. Träumchen. Ich treffe Danijel auf der Tribüne. Du kommst mit niemandem so schnell ins Gespräch wie über Fußball. Danijel ist von hier, Mitglied der Torcida von Hajduk Split und war hoffnungsvoller Jugendspieler in Imotski. „Mafia!“, sagt er über den lokalen Klub. Damals vor zehn Jahren, als er fit war für die erste Mannschaft, hätte der Präsident die Hand aufgehalten. Aber sein Papa hätte das nicht zahlen können. Das war’s dann mit der Karriere. Darum würde er auch in Deutschland arbeiten, weil in Kroatien sei es schwierig. Danijel verdient sein Geld bei einer Amazon-Tochter in Frankfurt. Warum? Danijel macht ein Beispiel: Wenn du in einer kroatischen Zahlstelle an der Autobahn, nur beispielsweise, angestellt werden willst, weißt du, was du dafür brauchst? „10.000 Euro!!“ laut Danijel. „Jetzt weiß du warum, so viele Kroaten in ganz Europa verteilt sind“, sagt Danijel.
Erkenntnis des Tages. „This is balkan“ erklärt Danjiel gleich nachdem er die Summe genannt hat. Und wiederholt mit Nachdruck: This is balkan“ – und das erklärt vieles. Es erklärt, dass die Bezeichnung „Balkan“ nicht unbedingt positive Vibes verströmt. Und es erklärt, warum der kroatische Staat diesen unsäglichen Nationalstolz an so vielen Stellen befeuert. Weil er als Deckmantel für 1001 balkanesische Missstände herhalten muss. Den Tagebucheintrag über das System Kroatien mit den Stichworten Ustaša, Thompson und Korruption erspar ich Euch. Ich bin ja nur ein Tourist.