G - Texter Sautter
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Etappe 15, Tourette de France, Beuil – Roquebilliere, 62 km, 1350 Höhenmeter.

Aus dem Alter, in dem ich einen plausiblen Fanboy abgebe, bin ich raus. Leider. Pop und Rock hörte ich ohne Bravo-Poster aufzuhängen. Statt dessen hingen VfB-Wimpel an der Korktapete. Aber Fußball wirkt langfristig desillusionierend. Es sind einfach zu viele, die man früher fürs Kicken bewundert hatte, die heute bestenfalls von SWR Sport eingeladen werden, um altbackenes Zeug über längst untergegangene Zeiten abzusondern. Im Bierernst. Oberlehrerhafte Erklärbären mit Hang zum Ichweißallesbesser. Mag sein, dass es mich als Fan des VfB Stuttgart besonders hart trifft – ein Verein, bei dem die alten Helden eher „alt“ geworden als „Held“ geblieben sind. Keine schlechten Leute, gewiss nicht (vielleicht außer Drogendealer Walter Kelsch), aber eben Leute, von denen ich kaum inspirierende Gedanken kenne, geschweige denn zutrauen würde, relevante Bücher zu schreiben. Außer Gilbert Gress freilich – und ich erwähne ihn nicht nur, weil ich durch Frankreich radle.

Beim Radsport funktioniert das bei mir anders. Hier krieg ich‘s locker hin, ein Fanboy zu sein. Mein Fansein geht quer durchs Peloton. Der große Belgier VanAert imponiert mir. Der deutsche Simon Geschke ist ein feiner Kerl. Der Einmal-in-100-Jahren-Sportler Tadej Pogacar fährt zwar oft langweilig alleine vorneraus, aber seine kindliche Begeisterung am Sport ist klasse. Tom Pidcock muss man lieben, wegen Abfahrtskünsten und Humor. Als er bei einem Cyclocross in Baal total selbstverschuldet einen unkoordinierten Abflug in den Wald hingelegte, kommentierte er trocken „At least I hope it was on TV“. Pidcock halt, feiner Kerl. Der Radsport ist voller cooler Typen mit feinen Pointen. Vielleicht liegt’s daran, dass die meisten Profis bei den meisten Rennen anderen, besseren Radsportlern hinterher fahren. Fest steht: Unter den Pros ist der ironische Abstand zum eigenen Tun größer als in anderen Sportarten. Das gefällt mir. Darum hab ich kein Problem, mich als Fanboy zu outen. Und ganz oben, bei den aktuellen Radfahrern steht „G“. Also Geraint Thomas. Auch weil er Bücher schreibt (oder er erzählt Storys und ein Anderer schreibt sie auf), die relevant, humorvoll und stilistisch brillant sind.

Wenn G. über sein eigenes Buch „Mountains. According to G.“ (Dt. Titel: Die Berge und wie ich sie sah) schreibt, klingt das folgendermaßen: „Der andere britische Anstieg ist der „Cat and Fiddle“, den ich in der Zeit der Cycling Academy gefahren bin. Es ist nicht der schwierigste Anstieg. Es ist nicht der spektakulärste Anstieg. Es ist nicht der längste Anstieg. Es ist nicht der steilste Anstieg. Es ist das Arsenal der Anstiege. Arséne Wengers Arsenal. Solide. Ordentlich. Verlässlich. Einer der vier besten Anstiege. Aber nur, wenn man alle europäischen Anstiege ausklammert.“ Um so zu schreiben, braucht man Fanatsie und muss sich im Fußball auskennen. Das zeichnet ihn aus, aber auch, dass er in erster Linie ein Rugby-Connaisseur ist.

Er selbst hätte vielleicht ein anderes Buch geschrieben. Nicht „Mountains. According to G.“ sondern „Crashes. According to G“. O-Ton Geraint Thomas: „Wenn es etwas gibt, worin ich ein Experte bin, dann Crashing. Aber die Herausgeber argumentierte , ein Crashes-YouTube-Kanal ziehe Dutzende von Zuschauern an, aber die Leute wollen nicht wirklich darüber lesen, wie man Schürfwunden mit der elektrischen Zahnbürste säubert oder wie man Wunden behandelt, die drei Tage lang nässen und dann eine Kruste über die gesamte Länge des Oberschenkels hinterlassen, die man vor dem Duschen abziehen muss.“

Lassen wir‘s mal dabei: Ich bin Fanboy von Geraint Thomas. Punkt.

Und jetzt stellt Euch vor – wir sind wieder beim Fußball – ihr kickt mit Eurer Freizeittruppe auf dem Bolzplatz und auf der anderen Hälfte des Spielfelds trainiert Sebastian Hoeneß die VfB-Profis. Unvorstellbar? Beim Radfahren nicht. Als wir den wunderbaren Col de la Couillole runtergegondelt sind (atemberaubender Pass, nächster Qualifikant für die Pässe Top-5 aller Zeiten), wer kommt im Renntempo entgegen? Erst Kwiato (Michal Kwiatkowski), dann der Große G. Persönlich. Erste Reaktion: Angesichts des Tempos der beiden, willst du dein Rennrad sofort den Hang runterwerfen, denn du bist ein Unwürdiger. Zweite Reaktion: Der Couillole ist die letzte Bergankunft der nächsten Tour. 20. Etappe. Vermutlich geht Team Ineos Grenadiers mit G auf den Etappensieg. Oder es war einfach ein handelsübliches Training, um sich die Eigenheiten des Anstiegs einzuprägen. „Recon“ genannt. Streckenbesichtigung. Aber klar: Eher Zweitens. Wir sind da was ganz Großem auf der Spur. Wie immer. Während ich G. applaudierte, war der mit seiner eigenen Nase beschäftigt. Er verschaffte sich Luft mit einer Technik, die der australische Ex-Profi Robbie McEwan neulich als „using the bushman’s hankie“ bezeichnete. So ist das unter Radlern. Man konzentriert sich besser auf sein eigenen Atemrhythmus. Kenn ich gut. Diesbezüglich steh ich dem Toursieger Geraint Thomas in nichts nach.

Als wir im folgenden Dorf einen Fanboy-Espresso auf G. nahmen, filzte UAE Emirates-Fahrer Juan Ayuso, Edelhelfer von Tadej Pogacar, die Straße lang. Zu Fuße des Col de Saint-Martin zog eine Groupama-FDJ Trainingsgruppe aus David Gaudu, Kevin Geniets und dem amtierenden französischen Meister Valentin Maduas an uns vorbei. Als wir halb den Pass oben waren, kamen die Drei bereits wieder zurück. Mit Radlergruß. Man kennt sich. Auf der anderen Seite des Berges erkannten wir im Gegenverkehr den großen Simoni, Simon Geschke.

Erkenntnis des Tages: Nach zwei Wochen Tourette de France darf man als neutraler Beobachter feststellen: Wir gehören dazu. Sozusagen unter der Elite des Pro-Pelotons angekommen. Im selben Trainingsrevier. Mehr kann man nicht erwarten im fortgeschritten Fanboy-Alter.