Denkste - Texter Sautter
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Denkste

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Etappe 14, Tourette de France, Uvernet-Fours – Beuil, 79 km, 2.100 Höhenmeter

Neulich wurde ich gefragt, was man so denkt, während man strampelt. Darüber hab ich heute nachgedacht. Übers Nachdenken. Während dem Strampeln. Zeit war genug. Zwei Pässe auf dem Tagesmenue. Cayolle und Valberg. Zwei lange zudem. Monotonie. Im den Seealpen. Melancholie. Bei 9 Grad Steigung. Beim Passfahren treten tatsächlich die zwei wichtigsten Gedanken des Radelns in den Hintergrund. Als da wären erstens: Was macht der Verkehr? Und zweitens: Wo geht‘s hin? Erstens fährt der Verkehr von hinten an dir vorbei, zweitens gibt’s keine Kreuzung, am ganzen Cayolle nicht und am Valberg auch nicht. Übrigens darf ich für unsere Wegstrecke hervorheben, dass ich selten eine Tour hatte, in der so angenehm Rücksicht genommen wurde. Von Radlern, Motorräder, Autos und allem zwischendrin. Heute am feldwegschmalen Cayolle lauter höfliche Leute. Als wir mitten im Berg Energieriegel futterten, haben uns sogar alle Motorradfahrer gegrüßt. Mit freundlichem Kopfnicken. Mehr als zehn Motorräder, alle an der selben Stelle freundlich zugenickt. Die Welt wird eine bessere, wenn du deine Energieriegel hinter einer Bodenwelle nimmst. Nick. Nick. Nick.

Zurück zu den Gedanken. Ganz persönlich sag ich da: Obacht vor den Abschweifen. Jetzt ist Pässefahren keine anspruchsvolle Angelegenheit und trotzdem, wenn du dich nicht nicht auf deinen Tret-Rhythmus konzentriert, und nicht vor dir auf den Boden guckst, weil du dich verdammt nochmal nicht mehr an die Sängerin von „Comment te dire Adieu“ erinnern kannst, und hirnst wer das sang, plötzlich ne feine Bodenwelle – und tschüss Tret-Rhythmus. Der ist nämlich heilig. Bloß nicht zu stark in die Belastung gehen, sonst merkst du 100 Höhenmeter weiter oben, wie dir der Antrieb nach unten wegsackt. Und dann natürlich Landschaft gucken, grad am Cayolle. Schon wieder ein Qualifikant für den schönsten Pass des Jahres. Unten Schlucht, Mitte die Sonne von hinten und oben abwechslungsreich zwischen mächtigen Spitzen durchschlängelnd, Wasserfälle hier und dort. Dazu die dichteste Enzianwiese, die ich in meinem Leben gesehen habe. Und wumms, bin ich aus Versehen auf dem schlechten Belag an der Innenseite der Serpentine gekommen. Rhythmus wieder im Eimer. Also merk‘s Dir. Weniger Abschweifen. Dafür besser auf Steigung und Gang achten. Früh Runterschalten, lieber Kurbeln wie ein Wahnsinniger. Bloß keine große Mühle ne kurze Rampe durchdrücken. Die wird dir ein paar Meter was erzählen, die große Mühle, oder sie zermahlt dir deine Beine. Warum sitz ich eigentlich so schäpp auf dem Rad, warum reibt es da? Verständliche Gedanken, aber solche, die man besser ausschaltet. Sonst Rhythmus Adieu. Dafür Einschalten: Der Gedanke ans Trinken. Vergisst man gerne. Ich zumindest. Großer Fehler. Tret- und Trink-Rhythmus wichtig. Merk Dir das und wer „Comment te dire Adieu“ gesungen hat, ist erstmal vergleichsweise wurscht. Der Michl natürlich immer Gedanken ans Essen und das ist auch gut so. Aber Obacht. Wenn du plötzlich an Döner, einen fetten Burger oder eine üppiges 5-Gang-Menü denkst, bei dem du bitte alle 5 Gänge gleichzeitig serviert bekommen willst, also dringend, dann stimmt was nicht. Merke: Je obszöner der Appetit, desto wahrscheinlicher, dass du kurz vor dem Hungerast stehst. Also rechtzeitig essen, und wenn keine Alm mit Speisekarte kommt, also meistens, dann iss deinen trockenen Energieriegel, und zwar selbst dann, wenn du spürst, dass das trockene Zeug bis in den Zweitmagen runter staubt. Und nimm dir beim Treten die Zeit um in die Beine reinzuhören, und in deinen Atem. Und wenn du um die 2000 Höhenmeter merkst, dass irgendwas anders ist, dass die Kurbel immer schwerer dreht, dann keine Verzweiflung. Klar, hättest du mehr trainieren können. Aber für den Gedanken ist jetzt zu spät. Also stell dein Strampelyoga auf langsam. Konzentriere dich trotzdem auf den Rhythmus. Und strampel gefälligst weiter.

Und dann ein letzter Gedanke zum Pässefahren. Kennst du das? Wenn du schon ne zeitlang eigentlich dringend pinkeln müsstest, also du gerade komplett Blase bist, das aber gerade nicht geht, und das ne Weile nicht geht, und das immer noch nicht geht, aber dann Rettung in Sicht, also Klo… dann sind die letzten Meter vor dem Klo immer die schlimmsten. So ist das beim Pässefahren auch. Wenn die Passhöhe weit weg, kein Problem. Aber kurz vor Passhöhe, letzter Kilometer, vor der letzten Kehre: das sind Schmerzen. Anständiger Toiletteneffekt. Und ach… merk Dir: So ein Pass ist immer eine Kuppe länger als du denkst. Mindestens. Als bleib im Strampelyoga drin. Nie ans Ende denken. Nie an oben. Weil, wenn du an Passhöhe denkst: immer zu früh. Immer.

Erkenntnis des Tages: Nicht zu viel denken. Treten. „Comment te dire Adieu“ hat Francoise Hardy gesungen (R.i.P). Großartig.